BR-KLASSIK

Erst mit 42 Jahren konnte er von seiner Musik leben. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Klempner, Taxifahrer, Möbelpacker und Kellner. Bis er in den 80er Jahren zum Popstar der Minimal Music wurde. Philip Glass. Am 31. Januar wird er 80 Jahre alt - und komponiert noch immer unermüdlich ein Stück nach dem anderen. Opern, Film- und Klaviermusik, Sinfonien, Musik für kleinere Ensembles. Minimalistische Ohrwürmer mit maximaler Wirkung.

Wobei Glass‘ Musik heute ein bisschen anders klingt als früher. Aber das Publikum findet ihn auch mit seinen 80 Jahren noch so hipp wie eh und je. Fast bedingungslos feiern seine Fans die Musik, die manchen auf die Nerven geht. Aber Glass‘ Musik geht auch unter die Haut. Sofern man sich darauf einlässt. Eine neue Box mit einem Überblick über Glass' enorm reichhaltiges Œuvre, erschienen bei Sony Classical, bietet dazu reichlich Stoff.

Musikalischer Marathon

Wenn Sie beim Frühstück mit der ersten CD anfangen und dann die komplette Sammelbox ohne Pause durchhören, schaffen Sie es vielleicht vor dem nächsten Sonnenaufgang. Aber: Achtung, es könnte knapp werden. 24 CDs mit 1212 Minuten Spielzeit - das sind mehr als 20 Stunden Musik. Nur Philip Glass. Wenn Sie skeptisch sind, dann kann ich das verstehen. Doch ich kann Ihnen sagen: Es sind 20 Stunden, die sich lohnen. Denn die Sony-Box hebt einige Schätze. Darunter die Originalfassung der legendären Oper "Einstein on the Beach", mit der Glass das Musiktheater auf einmalige Weise entkrustet hat.

Glass in Bild, Wort und Ton

Parallel zum Hören können Sie sich ins Libretto vertiefen oder Infos aus erster Hand durchlesen - in mehreren Texten kommen Menschen zu Wort, die Glass auf seinem Weg begleitet haben, und natürlich auch der Komponist selber. Im Booklet, das mehr ein Buch ist. Und auch auf CD: In einem Audio-Interview spricht Glass über seinen größten kommerziellen Erfolg "Glassworks".

Nicht nur Klassiker

Alle Aufnahmen sind exzellent besetzt. Es spielen das Philip Glass Ensemble, der Cellist Yo-Yo Ma, das Kronos Quartet, der Sitar-Zauberer Ravi Shankar, die Lautten Compagney und viele andere mehr. Und neben den Klassikern bietet die Box noch viel mehr: die Alben "Solo Piano" und "Dancepieces" zum Beispiel, Filmmusik zu den Filmen "Die Truman Show" und "The Hours" mit Nicole Kidman - und solche Perlen wie die seltener gespielten Orgelstücke von Philip Glass.

Ohrwürmer und Klangspiralen

Auch wenn die aktuellsten Kompositionen fehlen wie einige Symphonien, der zweite Schwung Klavieretüden, die zahlreichen Opern der vergangenen Jahre und einiges an Filmmusik: Diese Box ist die derzeit umfassendste Sammlung der wichtigsten Kompositionen des Klangteppichgenies. Und sie erzählt von der musikalischen Entwicklung, die Glass genommen hat - von minimalistischen Ohrwürmern und hypnotischen Klangspiralen, die sich gebetsmühlenartig ins Ohr fräsen, bis hin zu neueren Werken, die epischer angelegt sind, mit mehr Leben in den Melodien.

Indische Musik zum Sonnenaufgang

Wenn beim Glass-Marathon der Morgen graut, werden Sie bei aktuelleren Aufnahmen angelangt sein und bei Kompositionen von und mit Ravi Shankar. Wirklich - besonders schön anzuhören, wenn gerade die Sonne aufgeht. Funktioniert aber auch zu jeder anderen Tageszeit.