Philip Glass hätte ein großer Komponist werden können. In den frühen 70er Jahren gehörte er zu den Vätern der Minimal Music. Aus kleinsten Motivbausteinen errichtete er riesige Klang-Wolkenkratzer. Einfachste Elemente, unablässig wiederholt und unmerklich verändert, wuchsen an zu überwältigenden mehrstündigen Mammutwerken: hypnotisierend, meditativ, rätselhaft.
Bildquelle: Orange Mountain Music
CD-Tipp 19.2.2014
Der CD-Tipp zum Anhören
Doch dann kam das süße Gift des Erfolgs. Philip Glass wurde berühmt, komponierte Opern und Orchestermusik fast wie am Fließband. Er hüllte seine repetitiven Muster in spätromantische Parfüms, bauschte sie mit Pomp und Pathos auf. Seine Musik wurde harmonisch reicher und gedanklich ärmer, sie gewann an Opulenz und verlor ihr Geheimnis. Es schien, als sei Philip Glass in den seichten Untiefen des Kitsches gestrandet. Doch nun, mit Mitte 70, hat Philip Glass die Kraft der Einfachheit wiederentdeckt.
Sieben lange Jahre hat es gedauert, bis "Visitors" fertig war - der fünfte gemeinsame Film von Philip Glass und Regisseur Godfrey Reggio. "Visitors" ist eine langsame Parade von Porträtaufnahmen, ohne Handlung, ohne Worte, ganz in Schwarz-Weiß. Wir sehen in die Gesichter von Menschen, die auf einen Bildschirm starren, ein Videospiel spielen oder fernsehen. Dazwischen immer wieder das Gesicht eines Gorillas, verlassene Gebäude, öde Mondlandschaften. Es ist ein düsteres Bild unserer technisierten Gegenwart, und Glass liefert den Soundtrack dazu.
Einen zutiefst melancholischen Ton schlägt Philip Glass in seiner Partitur an. Sie klingt nach Einsamkeit, nach Vergeblichkeit, nach stiller Traurigkeit. Von der einstigen übertriebenen Opulenz in Glass' Schaffen sind nur noch leise Echos übrig - und die souveräne Orchesterbehandlung. Auf der Oberfläche passiert nicht viel in diesen 77 Minuten, die das Bruckner-Orchester Linz unter Dennis Russel Davies in angespannter Ruhe und mit dem nötigen Understatement vorüberziehen lässt. Ein kleiner Seufzer wird da schon fast zum Erdbeben, wenige Motive entfalten eine große Wirkung. Unmerklich wird man hineingezogen in den Sog dieser tiefschwarzen Klänge. Glass hat die Langsamkeit wiederentdeckt und seine Musik ihre Magie wiedergefunden. Wenn "Visitors" auch kein epochales Meisterwerk sein mag, so doch ein subtiles Alterswerk und endlich wieder eine hörenswerte CD von Philip Glass.
Bruckner Orchester Linz
Leitung: Dennis Russell Davies
Label: Orange Mountain Music