Weihnachten ohne Musik von Johann Sebastian Bach? Eigentlich nicht vorstellbar. Dass es nicht immer das "Weihnachtsoratorium" sein muss, zeigt der 1960 in Rom geborene Cembalist und Originalklang-Experte Rinaldo Alessandrini auf seiner neuen Bach-CD "Variationen über Variationen". Mit Solisten aus seinem Barockensemble Concerto Italiano hat Alessandrini eigene Kammermusik-Bearbeitungen von Cembalo- und Orgelwerken Bachs eingespielt; Hauptwerk sind die "Goldberg-Variationen".
Bildquelle: Naïve
Der CD-Tipp zum Anhören
Was eigentlich eine machtvolle Orgel-Passacaglia ist, klingt in Rinaldo Alessandrinis Streichquartett-Version überraschend vollmundig, warm, rund und plastisch. Die filigrane Cembalo-"Aria variata alla maniera italiana" dagegen hat er für Violine und Basso continuo gesetzt - das Ergebnis wirkt naturgemäß kantabler und graziöser als das Original.
Variationswerke von Bach wie die Passacaglia oder die Aria haben Alessandrini zu faszinierenden Besetzungsvarianten inspiriert - und er kann sich dabei auf Bach selbst berufen. Dezente Ergänzungen im Tonsatz waren nur in den "Goldberg-Variationen" nötig, so Alessandrini im Booklet, um die Polyphonie dieses kontrapunktischen Meisterwerks zu verdeutlichen. Es ist ein magischer Moment, wenn in der einleitenden Aria die Streicher den Cembaloklang erweitern.
In den folgenden dreißig Variationen erzielt Alessandrini vom Cembalo aus mit fünf Streichern auf Originalinstrumenten einen Abwechslungsreichtum, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt. Kontrastreich wechseln Stimmungen, Gesten und Klangfarben. Gleich die erste Variation kommt musikantisch daher wie ein Brandenburgisches Konzert.
Andere Variationen entwickeln dank der rhythmischen Brillanz von Concerto Italiano einen ansteckenden tänzerischen Swing. Umso schmerzlicher kommen die harmonischen Kühnheiten Bachs in der längsten Variation zur Geltung, einem Adagio. Alessandrini lässt Phrasen wunderbar frei ausschwingen, findet zu großer Ruhe und Klarheit, bevor er seine Mitstreiter erneut zu geschärfter Artikulation und virtuosem Ensemblespiel animiert.
Mit visionärer Kraft spannt Alessandrini die Ausdrucksvielfalt in Bachs Zyklus unter einen großen Bogen. Die "Goldberg-Variationen" hört man hier tatsächlich neu, dazu kommt der fantastische Klang. Diese Bach-Hommage ist ein intellektuelles und sinnliches Vergnügen - eine der besten CDs des zu Ende gehenden Jahres.
Variationswerke von Johann Sebastian Bach in Bearbeitungen von Rinaldo Alessandrini
Passacaglia d-Moll nach dem Original für Orgel c-Moll BWV 582
Aria variata alla maniera italiana g-Moll nach dem Original für Cembalo a-Moll BWV 989
Canzona d-Moll nach dem Original für Orgel BWV 588
Goldberg-Variationen, Aria mit 30 Veränderungen G-Dur nach dem Original für Cembalo BWV 988
Mitglieder von Concerto Italiano:
Nicholas Robinson (Violine)
Antonio de Secondi (Violine)
Ettore Belli (Viola)
Ludovico Takeshi Minasi (Violoncello)
Matteo Coticoni (Violone)
Rinaldo Alessandrini, Cembalo und Leitung
Label: Naïve
Sendung: "Leporello" am 22. Dezember 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK