Eine neue CD von Rolando Villazón - da war bei mir erstmal Kopfschütteln angesagt, auch Besorgnis, vor allem ein großes Fragezeichen. Der mexikanische Tenor war vor seiner Stimmkrise und den heiklen Stimmband-Operationen eine singuläre Erscheinung auf der Bühne, vokal und darstellerisch, hat alle im Handumdrehen für sich eingenommen. Heute ist unüberhörbar, dass Villazóns damalige Jahrhundertstimme nachhaltig eingeschränkt und den extremen Anforderungen des Opernrepertoires nur noch bedingt gewachsen ist. Auftritte mit Mozart in Baden-Baden oder "South Pole" in München sind dafür Beispiele.
Bildquelle: Deutsche Grammophon
Der CD-Tipp zum Anhören
Villazón schreibt längst erfolgreich Bücher, moderiert charmant Galas und führt unkonventionell Regie, ein Leben nah bei der Musik führt der enthusiastische Mexikaner nach wie vor. Aber ein Leben mittendrin, in den Hexenkesseln der tenoralen Hochleistungspartien: Faust, Don José, Nemorino. Muss das sein?, fragt man sich angesichts aller Tragik. Und wird - je nach Erwartung - von dieser neuen CD mit populären Opernduetten von Verdi, Donizetti, Bizet und anderen entweder positiv überrascht oder zumindest nicht enttäuscht.
Klar ist, Villazóns Stimme ist vor allem in der Höhe so beschädigt, dass nicht er sie führt, durch die heiklen Klippen dieser Partien, wie früher filigran, oder verlockend, oder mächtig. Sondern dass sie dem Sänger diktiert, wie weit er sie beanspruchen darf. Dass hemmt den Ausdrucks-Künstler Rolando Villazón gewaltig, aber es nimmt dem geborenen Stilisten und lustvollen Gestalter nicht seine Stärken. Sprich: Da, wo es noch geht, ist es echter, vibrierender, leidenschaftlicher Villazón.
Villazón ist nicht alleine auf dieser Neueinspielung, ein kluger Schachzug in vielerlei Hinsicht: der russische Bassist Ildar Abdrazakov, zu Recht weltweit in allerlei Munde, leistet Brillantes und musikalisch den Löwenanteil auf dieser Duett-CD mit Hits von Verdi, Donizetti und Co. Er kann das Charmante, Kantable bei Don Pasquale und Dulcamara ebenso überzeugend und nuancenreich wie die Schurken und das vernichtend Böse etwa bei Arrigo Boitos Mefistofele.
Absolut auf Zack sind auf dieser reizvollen Duett-CD auch der kanadische Pultstar Yannick Nézet-Séguin, zukünftiger Chef der New Yorker Metropolitan Opera, und sein stilsicheres, homogenes Orchestre Métropolitain de Montréal. Die perfekte Unterstützung für die Sänger, Nézet-Seguin hält dem Freund Villazón ohnehin seit Jahren künstlerisch die Solidaritätsstange und hat vermutlich mit Bedacht das spannende und für diese künstlerische Konstellation ideale Repertoire gewählt.
Studioproduktionen sind grundsätzlich nur die eine Seite der Wirklichkeit: Die Tonmeister, Produzenten und Künstler allein wissen, wieviel Naturbelassenes drin ist und wie viele Schnitte und Tricks notwendig waren für eine Aufnahme, wie echt sie letztlich ist. Keiner der hier Beteiligten scheut allerdings den direkten Vergleich mit dem Live-Event: Villazón und Abdrazakov gehen mit ihrem Duett-Programm im Herbst auf Europa-Tournee. Jeder möge dann für sich selbst entscheiden. Die Duett-CD mit absolut reizvollem Repertoire ist dafür weit mehr als nur ein guter Vorgeschmack.
Opernduette für Tenor und Bass von Bizet, Donizetti, Verdi, Gounod u.a.
Rolando Villazón (Tenor)
Ildar Abdrazakov (Bass)
Orchestre Métropolitain de Montréal
Leitung: Yannick Nézet-Séguin
Label: Deutsche Grammophon
Sendung: "Leporello" am 30. Oktober 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK