Es ist nicht wahr, was in so manchem Klaviermusikführer gern angedeutet wird: dass die Tastenkunst des Domenico Scarlatti sich nahezu ausschließlich in geistreich-artifiziellen Spielereien ergehe, in der glitzernden Virtuosität schneller Läufe und Trillerketten, dass sie sich in Sprungakrobatik, Tonwiederholungen und Arpeggio-Girlanden erschöpfe - das beweist die kanadische Pianistin Angela Hewitt auf ihrer neuen CD.
Bildquelle: Hyperion
CD-Tipp 29.02.2016
Der CD-Tipp zum Nachhören!
Man nehme zum Beispiel die Sonate h-Moll, Kk 87: Kontrapunktisch fein gewirkt ist ihr weich fließendes Stimmengeflecht, introvertiert und ausdrucksintensiv zugleich: sich aussingende, dabei aller Erdenschwere entschwebende Melancholie. Aber selbst wo delikate Hexenkünste fantasievollster Erfindung den musikalischen Satz bestimmen oder unbeschwerte Lebensfreude sich artikuliert: Viele, um nicht zu sagen die meisten der Sonaten des Barockmeisters zeugen von wirklich echter Erlebnistiefe. Nicht immer glückt es ja, aus den insgesamt 555 überlieferten Sonaten Scarlattis ein ausbalanciertes Programm zusammenzustellen. Der kanadischen Pianistin Angela Hewitt aber ist solches bei ihrer neuen CD gelungen. Und mit ihrem wunderbaren Spiel dringt sie vor bis in die entlegensten Seelenräume der Stücke.
Rastlos dahineilende Tonwiederholungen über hart angerissenen Accacciaturen - also dissonanzgewürzten, schnell arpeggierten Klängen. Vor welche pianistischen Aufgaben Angela Hewitt sich auch gestellt sieht: Auf bestechende Weise belegt sie einmal mehr, dass Domenico Scarlattis fürs Cembalo komponierte Sonaten und dass die ganze Bandbreite ihrer motivischen und harmonischen Subtilitäten erst erschlossen werden können, wenn man auf einem modernen Flügel musiziert. Hewitt versteht sich überzeugend darauf, die verschiedenen Satzcharaktere der Miniaturen zum Leben zu erwecken - mit wechselwirkenden Gewichtungen von Tonschönheit und Artikulation, Spielwitz und einem Sinn fürs Tänzerische, Härte und Geschmeidigkeit in agogischer Hinsicht. Ihre lesenswerten Booklet-Ausführungen zu jeder einzelnen der 16 eingespielten Sonaten geben einen Eindruck davon, auf welch profunde Weise sie sich mit dem vielschichtigen musikalischen Stoff auseinander gesetzt hat. Da geht es beispielsweise um Fragen zu den gewählten Tempi, zu Ausdrucks- und Formkategorien, um Lesart-Varianten und musikalische Einflüsse. Plausibel auch das Mischungsverhältnis zwischen den bekannteren, teils sogar populären und andererseits kaum je gehörten Stücken des eingespielten Programms. Angela Hewitts Aufnahmen machen Lust auf weitere Produktionen dieser Art; und die Künstlerin beflügelt Vorfreude, wenn sie schreibt: "Ich hoffe, dass es mehrere geben wird".
Angela Hewitt (Klavier)
Label: Hyperion