1990 gründete der Pianist und Dirigent Mikhail Pletnev das Russian National Orchestra. Das war ein Novum – denn zum ersten Mal entstand damit in der ehemaligen Sowjetunion ein Orchester aus rein privatwirtschaftlicher Initiative. Das Orchester gewann ein derartiges Renommee, dass ihm mittlerweile auch die Russische Föderation finanzielle Unterstützung gewährt.
Bildquelle: Pentatone
CD-Tipp - 22.05.2015
Der CD-Tipp zum Nachhören!
Von der hohen Qualität des Russischen Nationalorchesters zeugt ein Schostakowitsch-Zyklus, der seit 2006 für das Label Pentatone entsteht und von verschiedenen Dirigenten betreut wird. Zur Halbzeit ist jetzt die Siebte, die "Leningrader" Symphonie erschienen, mit dem estnischen Tausendsassa Paavo Järvi am Pult.
Dmitrij Schostakowitschs Siebte Symphonie ist ein Mythos. Zumindest die ersten drei Sätze des gewaltigen Werks brachte der Komponist unmittelbar nach dem deutschen Überfall auf Leningrad 1941 in der belagerten Stadt zu Papier. So wurde die siebte Symphonie zum Symbol des Widerstands gegen den Nazi-Faschismus. Die elfmalige Wiederholung und Steigerung des "Invasions-Themas" im ersten Satz wurde in der Sowjetunion als Einmarsch der deutschen Wehrmacht gedeutet. Später distanzierte sich Schostakowitsch von der propagandistischen Lesart der Siebten als antifaschistischem Manifest – insgeheim habe er auch den Stalinismus anprangern wollen. Rein musikalisch gesehen, ist die unwiderstehliche Variationsreihe im Kopfsatz eindeutig nach dem Vorbild von Ravels "Bolero" gearbeitet. Paavo Järvi und das brillante Russian National Orchestra gestalten diese ostinate Klangwalze mit der rhythmischen Präzision eines Uhrwerks. Andererseits entdecken sie in den berückenden Instrumentalsoli auch kühle Eleganz à la Prokofjew.
Im weiträumigen Klangbild dieser Surround-Einspielung harmonieren die pastoralen Holzbläser mit den samtweichen Streichern des Russischen Nationalorchesters aufs Schönste. Paavo Järvi sorgt für straffe Führung, messerscharfe Artikulation, gespenstische Leere und grelle Attacken. Bei aller Energie und Emphase setzt Järvi auf ein schlankes Klangideal und die Kraft des Lakonischen. Damit befreit er die "Leningrader" Symphonie von allem ideologischen Ballast, von allem vaterländischen Pomp und Pathos. Und macht sie zum zeitlosen Requiem für die Opfer von Krieg und Unterdrückung. Schließlich versinkt auch das kämpferische Finale in heilloser Trauer, bevor sich das tonangebende C-Dur qualvoll durchsetzt – ein Hoffnungsschimmer am Abgrund.
Dmitrij Schostakowitsch:
Symphonie Nr. 7 C-Dur op. 60 "Leningrader"
Russian National Orchestra
Leitung: Paavo Järvi
Label: Pentatone