Das sogenannte Kunstlied hat’s schwer. Vor 50 Jahren rannte das Klassikpublikum bei Liederabenden den Veranstaltern die Türen ein. Und das galt nicht nur für Weltstars wie Fritz Wunderlich oder Dietrich Fischer-Dieskau. Lieder von Schubert, Schumann und Brahms waren innerhalb der Klassikwelt einfach richtig populär. Heute ist das nicht mehr so.
Bildquelle: Orfeo
CD-Tipp 18.04.2015
Franz Schubert: Die schöne Müllerin
Ganz leicht zu erklären ist das ist nicht. Vielleicht liegt es daran, dass Lyrik heute generell einen schwereren Stand hat als früher. Wer lernt heute schon noch freiwillig Gedichte auswendig? Vielleicht liegt es auch daran, dass zu Hause weniger gesungen wird. Nun wirft sich einer gefragtesten Operntenöre der Gegenwart erneut für das Lied in die Bresche: Pavol Breslik.
Als Tamino in Mozarts "Zauberflöte" und in vergleichbaren lyrischen Rollen gehört er derzeit weltweit zu den Besten, von New York über München bis Mailand. Aber wer auf der Bühne überzeugt, mit Kostüm und Inszenierung, mit dramatischer Handlung, Orchester und großer Geste, der ist noch lange nicht automatisch auch ein guter Lied-Interpret. Ein Lieder-Zyklus wie Schuberts "Schöne Müllerin" hat zwar so etwas wie eine innere Handlung, aber mit zuviel Dramatik macht man eben auch schnell wieder kaputt, worum es beim Lied eigentlich geht: nämlich die Lyrik.
Und schon ist man bei der Gretchenfrage dieser seltsamen Gattung Lied: Wieviel Identifikation darf es sein? Wieviel Ausdruck, Leidenschaft und Dramatik? Soll der Sänger sich möglichst unmittelbar hineinversetzen in den armen, allzu schüchtern verliebten Müllersburschen? Und wieviel darf er dabei von seinen eigenen, ganz persönlichen Gefühlen hineinlegen in Schuberts Lieder? Für Breslik ist die Antwort einfach: Der Sänger darf nicht nur, er muss – aber nur, wenn er dabei absolut glaubwürdig ist, wenn er die Gedichte Gedichte sein lässt und nicht so tut, als stünde hier eine Opernfigur auf der Bühne.
Und Breslik ist umso besser, je stärker er emotional beteiligt ist. Beim ersten Lied, "Das Wandern ist des Müllers Lust", wo alles ganz heiter und harmlos anfängt, stört noch das etwas unkontrollierte Vibrato, die fehlende Leichtigkeit. Aber je mehr die Hauptfigur, der Müllersbursch, der von seiner unglücklichen Liebe erzählt, sich hineinsteigert in seine Gefühle, umso mehr vergisst man beim Hören alle stimmtechnischen Fragen und alle puristischen Einwände. Weil Breslik nicht nur eine betörend schöne Stimme, sondern emotional unglaublich viel mitzuteilen hat. Weil er brennt für das, was er da erzählt. Weil er einen damit ganz unmittelbar erreicht. Und weil er einen fantastischen Begleiter am Flügel hat: Den Pianisten Amir Katz, der mit atmet, mitdenkt, mitfühlt und mitleidet. Breslik ist eben ein unverbesserlicher Romantiker – wie Franz Schubert.
Pavol Breslik (Tenor)
Amir Katz (Klavier)
Label: Orfeo