Auch wenn sein 100. Todestag dem russischen Komponisten und Mystiker Alexander Skrjabin im letzten Jahr eine hohe Aufmerksamkeit bescherte, inspiriert besonders sein umfangreiches Klavierwerk Pianisten zu immer wieder neuen Interpretationen. Jetzt erschien die fünfte Folge der Skrjabin-Einspielungen des aus Indien stammenden, in Russland ausgebildeten und derzeit in Deutschland lebenden Pianisten Pervez Mody, der als Skrjabin-Interpret bereits einiges Aufsehen erregte.
Bildquelle: Thorofon
CD-Tipp 02.06.2016
Alexander Skrjabin: Klavierwerke
Als Mischung aus den verstaubten Archiven Chopins und der Sonne van Goghs beschrieb der russische Schriftsteller Boris Pasternak einmal die Musik seines Landsmanns Alexander Skrjabin. Bei Henry Miller erzeugte sie Empfindungszauber aus Eisbad, Kokain und Regenbogen. Die suggestive, geradezu körperliche Reizwirkung der Tonsprache Skrjabins, die zwischen träumerischer Sehnsucht und rauschhaften Ausbrüchen schwankt, stellt für Pianisten eine besondere, technische wie musikalische, Herausforderung dar. Dieser hat sich der in Deutschland lebende Pianist indischer Abstammung mit faszinierendem Elan gestellt. Pervez Modys Skrjabin-Spiel bewegt nicht nur durch leidenschaftliche Emotionalität und extreme Kontraste, es besticht auch durch feinstabgestufte Phrasierungen und Klangfarben.
Alexander Skrjabin war nicht nur Komponist, er war zugleich ein Mystiker und Prophet, der die Welt mit seiner Kunst in einen Zustand der Ekstase versetzen wollte. Auch die einsätzige, in freier Sonatensatzform angelegte Fünfte Klaviersonate korrespondiert musikalisch mit seiner Ekstase-Vision. Sie entstand 1907, also zur gleichen Zeit wie Skrjabins Dichtung "Le poème de l’extase", aus der er ihr folgende Zeilen voranstellte: "Ich rufe euch zum Leben, ihr geheimnisvollen Kräfte, Versunken in den dunklen Tiefen des Schöpfergeistes. Ihr ängstlichen Schatten des Lebens, euch bringe ich Kühnheit." Die Virtuosität, mit der Pervez Mody hier selbst die vertracktesten technischen Herausforderungen der Skrjabin'schen Klavierexzentrik meistert, ist brillant und wirkt dank seiner subtilen Anschlagskultur nie wie Tastendonner.
Als "Tanz der Gefallenen" bezeichnete Skrjabin sein spätes Klavierpoème "Flammes sombres" ("Dunkle Flammen") aus dem Jahr 1914. Während die beiden ersten Motive dieses Klavierpoèmes im Charakter stockend sind und nicht voran zu kommen scheinen, haben die drei darauffolgenden einen beschleunigten, zum Teil tänzerischen Gestus. Skrjabin charakterisierte sie einmal als "orgiastischen Tanz auf Leichen" nach der "ungesunden Erotik und Perversität" des Anfangs. Pervez Mody taucht diese musikalisch-mystischen Nachtschattengewächse in ein magisch dunkles, geradezu bengalisches Licht. Er lässt sich ein auf den besonderen Sog dieser Tondichtungen für Klavier, auf ihren Zug zur Ekstase, den er hochdramatisch inszeniert, ohne dabei an Transparenz oder Plastizität einzubüßen. Alexander Skrjabin hätte mit Sicherheit sein mystisch-musikalisches Vergnügen an diesen faszinierend eigenwilligen Interpretationen gehabt, die auch für Skrjabin-Einsteiger rundum empfehlenswert sind.
Klaviersonate Nr. 5, op. 53
Morceaux, op. 2 (Auszüge)
Cinq Préludes, op. 15
Études, op. 8 (Auszüge)
Danses, op. 73
Scherzo, op. 46
Deux Poèmes, op. 44
Deux Impromptus, op. 12
Deux Préludes, op. 27
Fantasie, op. 28
Pervez Mody (Klavier)
Label: Thorofon