BR-KLASSIK

Im September 2011 besuchte Steve Reich ein Konzert mit dem Gitarristen Jonny Greenwood in Krakau. Greenwood interpretierte Reichs "Electric Counterpoint" - ein Stück, bei dem eine live gespielte E-Gitarre in einen Dialog tritt mit zehn Gitarrenstimmen vom Band.

Steve Reich war beeindruckt: weil Greenwood nicht wie andere Interpreten einfach das in der Partitur mitgelieferte Band verwendete, sondern die zehn Gitarrenstimmen noch einmal selbst aufgenommen hatte – und zwar ausgesprochen groovig, kernig und rockig.
Nach dem Konzert stellte sich heraus: Jonny Greenwood ist nicht irgendein Gitarrist, sondern einer der Köpfe der Rockband Radiohead. Steve Reich hatte wohl schon den einen oder anderen Radiohead-Song gehört; jetzt aber begann er sich intensiver mit der Musik der fünf Bandmitglieder aus Oxford zu befassen. So wie die alten Niederländer in der Renaissance für ihre Messen populäre Chansons als Bausteine nahmen, um darüber ihrer Klangkathedralen zu errichten, so wählte Steve Reich zwei Radiohead-Titel aus, um daraus eine knapp zwanzigminütige Ensemblekomposition zu machen: "Radio Rewrite".

Kein simples Crossover

Eines ist "Radio Rewrite", eingespielt vom New Yorker Ensemble Alarm Will Sound, sicher nicht: simples Crossover. Denn Steve Reich setzt nicht auf poppige Zitate, sondern auf substantielle kompositorische Arbeit. Die Radiohead-Songs, besser gesagt ihre Harmonien, sind kaum mehr als der Stoff, aus dem Reich seine faszinierenden Klangteppiche webt. Und die gehorchen ihren ganz eigenen Gesetzen: mal cool pulsierend, mal sich in verzweigten Labyrinthen verlierend.

Lustvolles Spiel mit Tönen

Es macht die Qualität von Reichs Musik aus, dass sie bei aller Klarheit doch ihr Geheimnis nie ganz preisgibt. Ein lustvolles Spiel mit Tönen und Strukturen, das sich auch beim wiederholten Hören nicht erschöpft: das ist auch "Piano Counterpoint" aus dem Jahr 1973, mit unwiderstehlicher Leichtigkeit und lässigem Drive gespielt von der jungen kanadischen Pianistin Vicky Chow. Wenn Musik auch nach 40 Jahren noch so frisch wirkt, dann darf man ihrem Komponisten schon mal eine Platz auf dem Olymp der Klassiker reservieren.