BR-KLASSIK

Es ist eine Farce: 2016 feiern die beiden Sinfonieorchester des Südwestrundfunks in Freiburg und Stuttgart ihr 70-jähriges Bestehen – und werden am Ende der laufenden Saison als eigenständige Klangkörper aufgelöst. Die aktuellen Chefdirigenten François-Xavier Roth und Stéphane Denève dürfen dann ihren Hut nehmen. Denn im Herbst 2016 geht das aus den beiden Traditionsorchestern fusionierte neue SWR Symphonieorchester in Stuttgart ohne Chefdirigent an den Start.

Beim Label SWRmusic beweist François-Xavier Roth derweil mit einem Zyklus der Tondichtungen von Richard Strauss, zu welchen Spitzenleistungen sein SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg fähig ist. Folge 4 ist gerade erschienen und bietet neben dem "Don Juan" die populäre "Alpensinfonie" – der perfekte Soundtrack zu einem Bergsteiger-Film? Diese Neuaufnahme hat andere Qualitäten!

Mit einer schier unendlich absteigenden b-Moll-Tonleiter senkt sich zu Beginn der "Alpensinfonie" von Richard Strauss die Nacht herab. Es ist magisch, wie François-Xavier Roth hier die Töne zu einem Klangkontinuum schichtet – als sei’s eine Cluster-Komposition von György Ligeti. Die Erhabenheit der Bergwelt kann dem Menschen eben auch Angst einjagen, selbst wenn er beim Anstieg noch munter voranschreitet.

Staunenswertes Leistungsniveau

Diese Produktion punktet mit einem hochdifferenzierten Klangbild. Das will etwas heißen bei der monströsen Besetzung der "Alpensinfonie"! Der 50-jährige Strauss konnte hier seine Meisterschaft im Instrumentieren brillant ausspielen. Und Roth bringt sie facettenreich zur Geltung, betont die avancierte Harmonik, die durchaus auch in diesem süffigen Stück Tonmalerei steckt. Über das Leistungsniveau des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg kann man nur staunen. Die Musiker setzen Roths analytischen Ansatz präzise um und kosten die vielen kammermusikalischen Momente der Partitur tonschön aus.

Sinnbild einer Lebensreise

In der zentralen "Elegie" sinniert Strauss über die menschliche Vergänglichkeit, bevor dann die Naturgewalten gnadenlos zuschlagen. An der Oberfläche mag die "Alpensinfonie" ein monumentales Gebirgs-Fresko sein – für Strauss war die Bergbesteigung auch Sinnbild einer Lebensreise. Und die schließt Kampf und Tod mit ein.

Markanter Zugriff

François-Xavier Roth kehrt die Modernität der vielgeschmähten Partitur heraus, weitab von Programmmusik, Postkarten-Idylle, Bayern-Klischees und Kitschverdacht. Mit markantem Zugriff treibt er der "Alpensinfonie" alles vermeintlich Behagliche, alle Gemütlichkeit aus. Das Mirakel vom Anfang dieser exemplarischen Neuaufnahme wiederholt sich am Ende, wenn das Orgel-grundierte weiße Rauschen unser Zeitgefühl zum Stillstand bringt. So schließt sich ein Kreis – atemberaubend.