Den Vater verlor Georgy Sviridov mit vier Jahren - er starb 1919 im russischen Bürgerkrieg in den brutalen Kämpfen zwischen Bolschewisten und Weißgardisten. Sviridovs Mutter soll sich, als die Bolschewiki ihr als eine Art Entschädigung die Wahl zwischen einer Kuh und einem von Adligen konfiszierten Klavier ließen, für das Instrument entschieden haben.
Bildquelle: 2017 Kai Myller
Den CD-Tipp anhören!
Einen symbolträchtigeren Startschuss für die Karriere eines in der Sowjetunion vor allem wegen seiner Lieder, Kantaten, Oratorien und Vokalsinfonien tief verehrten, im Westen gleichwohl nach wie vor unbekannten Komponisten könnte man sich nicht ausdenken. Doch zunächst einmal geht die Rechnung der Mutter nicht auf: Georgys erstes Instrument wird die Balalaika, und vielleicht liegt auch hier der Grund für seine lebenslange Verwurzelung in der russischen Volksmusik. Erst für die Aufnahmeprüfung an der Musikschule in Kursk lernt Sviridov das Klavierspiel. Die Lehrer beeindruckt er mangels klassischen Repertoires mit einer Eigenkomposition.
Entscheidend prägen wird ihn die Begegnung mit seinem berühmten Lehrer Dmitri Schostakowitsch am Leningrader Konservatorium. Sviridovs früher, gegen Ende des zweiten Weltkriegs entstandener Kammermusik, einem Klavierquintett und einem Klaviertrio, ist der tiefgreifende Einfluss Schostakowitschs fast überdeutlich anzuhören. Das Beethoven Trio Bonn hat die beiden rund 25-minütigen Werke nun in einem wunderbaren Album vorgelegt, im Falle des Klavierquintetts sogar in der Ersteinspielung.
In der pathosgeladenen Melodik, etwa in der Elegie des Klaviertrios, auch im formalen Aufbau, etwa dem als strenge Passacaglia gestalteten Trauermarsch dieses Werkes glaubt man immer wieder Schostakowitsch zu hören. Doch auch die Unterschiede und der ganz eigene Tonfall treten in diesen vergleichsweise frühen Kammermusiken des 30-jährigen Sviridov deutlich zu Tage. Die bittere Ironie und der bissige Sarkasmus des Lehrers geht Sviridovs Musik ab, seine Tragik wirkt weniger ausweglos, weniger schwarz und abgründig. Die Kämpfe, die Sviridov austrägt, sind weniger hart, die Stimmung seiner Musik ist abgedunkelt bis düster, doch bei aller pathosgeladenen Dramatik nicht unversöhnlich. Schostakowitsch hat den jungen Mann dennoch - oder vielleicht gerade deshalb - sehr geschätzt, ja er soll ihn als Genie bezeichnet haben.
Ein Genie - eine der höflichen Übertreibungen Schostakowitschs? Seine Höflichkeit und sein rückhaltloser Einsatz für viele seiner Schüler sind bekannt. Doch Sviridovs Musik ist tatsächlich eine Entdeckung. Tief in der russischen Tradition verwurzelt, sehr emotional und gleichzeitig bei aller Klassizität zeitlos expressiv. Man hört ihr gerne zu, auch weil das Beethoven Trio Bonn sie gemeinsam mit dem Geiger Artur Chermonov und dem Bratscher Vladimir Babeshko so fantastisch spielt. Diese Musik wäre eine echte Bereicherung für unser eher schmaler werdendes Konzertrepertoire. Hoffentlich ergreifen viele Ensembles diese Chance.
Georgy Sviridov:
Klaviertrio a-Moll
Klavierquintett b-Moll
Romanze
Beethoven Trio Bonn
Artur Chermonov, Violine
Vladimir Babeshko, Viola
Label: CAvi