Lieder ohne Worte gibt es nicht erst seit Mendelssohn. Die Sehnsucht der Instrumentalmusik nach Imitation der Stimme ist altbekannt – und sie ist zeitlos aktuell bis heute. "Songs and Poems" heißt die neue CD des Trios Accanto, einem der international renommiertesten Ensembles für Zeitgenössische Musik. Alle fünf Werke auf dieser CD sind für die besondere Besetzung Saxofon, Klavier und Schlagwerk geschrieben, und alle fünf Komponisten loten darin auf unterschiedliche Weise Wege und Irrwege von Gedicht und Lied aus.
Bildquelle: Wergo
Der CD-Tipp zum Anhören
Hans Thomalla geht es in seinem "Lied" eher klassisch an, pendelt sich auf vier Strophen, drei Refrains und einer Coda gerne auch mal im kantablen Bereich ein, lässt Klangflächen verschmelzen, schafft große Bögen. Andreas Dohmen hingegen lässt die drei Instrumente in seinen "Versi rapportati" immer wieder aneinander reiben und harsch abbrechen, in einem Mix aus Cluster und Free-Jazz-Umspielung des Saxofons.
Das "Gegenstück" dazu liefert Wolfgang Rihm, und zwar im doppelten Sinn, denn sein Werk heißt nicht nur so, sondern es spielt auch filigran mit der Durchsichtigkeit des Klangs und Nachhalls, gern auch im Vexierspiel eines Tons, den das Klavier und – selten zu hören – das Kontrabasssaxofon umgarnen .
Man hört dem Trio Accanto nicht nur seine technische Sicherheit sondern auch spielerische Freude in jedem Takt an – alle Werke wurden schließlich einst von den Accantos aus der Taufe gehoben. Und da den Stücken eben keine bestimmten Gedichte zugrunde liegen, es also nicht auf Worte und Zusammenhang ankommt, kann man sich vergleichsweise unvorbereitet auf die Reise machen und entdecken, wie faszinierend reich und unterschiedlich Zeitgenössische Musik doch…genau: singen und sprechen kann ("Songs and Poems" eben mal anders)…
Und in den "Tre Ricercari" von Aldo Clementi bekommt man gleich mitgeliefert, was bei Zeitgenössischer Musik oft ratsam wäre: das merhmalige Hören. Die drei Stücke werden nämlich wie folgt gespielt: 1,2,3,2,1 – und das Ganze dann zweimal wiederholt, je um eine Viertel langsamer. Hier wird der Raum tatsächlich mal zur Zeit: eine tolle Erfahrung!
Andreas Dohmen:
"Versi raportati"
Hans Thomalla:
"Lied"
Walter Zimmermann:
"As I was walking I came upon chance"
Wolfgang Rihm:
"Gegenstück"
Aldo Clementi:
"Tre Ricercari"
Trio Accanto:
Marcus Weiss (Saxofon)
Nicolas Hodges (Klavier)
Christian Dierstein (Perkussion)
Label: Wergo
Sendung: "Leporello" am 24. Mai 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK