Er war DER Mann für Musik in Italien, und er machte Venedig zu DER Stadt für Musik: Antonio Vivaldi. Geiger, überragender Virtuose. Und Komponist, ein Multitalent. Opern jedweder Couleur, knapp 50 an der Zahl, hat er komponiert. Und Konzerte, sage und schreibe 500. Die Hälfte davon für das Instrument, das er selbst spielte: die Violine.
Bildquelle: Naïve
Der CD-Tipp zum Anhören
Um 1730 ist Vivaldi ein Star, trotz Händel, Bach und Pachelbel so etwas wie der ungekrönte König der Barockmusik. Spielt vor dem Papst und erhält lukrativste Aufträge von betuchten Mäzenen. Musiker aus ganz Europa pilgern nach Venedig, um Vivaldi zu hören und zu erleben. Im Konzert, im Unterricht, mit seinen neuesten Stücken. Bis sich auf einmal der musikalische Geschmack in Europa wandelt, Vivaldis Stern ein wenig zu sinken beginnt und der frühere Selbstläufer selbst losziehen muss, in die Städte, wo man seine Kompositionen noch uneingeschränkt liebt und lobt. Zum Beispiel nach Prag.
In Böhmen komponiert Vivaldi sechs Violinkonzerte; neueste Forschungen und Papieranalysen können das belegen. Es sind Werke, die er vor Ort nicht aufführt, und die ihm dort auch niemand bezahlt. Durchaus ungewöhnlich, aber man kann daher davon ausgehen, dass Vivaldi in der Art zu schreiben wirklich frei und allein der eigenen Inspiration verpflichtet war.
Zwei der sechs Konzerte sind in ihrer Kompositionsstruktur auffallend schlicht, nicht kontrapunktisch und im Solo-Geigenpart bewusst so verfasst, dass auch ambitionierte Amateure an ihnen nicht verzweifeln. Musik, adressiert an ein breites Publikum. Die musikalisch spannenderen Stücke sind die Konzerte RV 278, 282 und 380, in e-Moll, F-Dur und B-Dur. Hier packt Vivaldi zum einen alles rein und aus, was geigerisch damals "State of the Art" war: Doppelsaitengriffe, Akkordübergänge in den höchsten Registern, aberwitzige Tempi. Quasi ein Kompendium für barocke Violin-Stars. Außerdem sind diese Stücke auch musikalisch komplexer, manchmal fast opernhaft-melodiös, manchmal wie ein Rezitativ zerfasernd, innehaltend, suchend. Und von größerer emotionaler Bandbreite, besonders in den melancholischen, elegischen Momenten.
All diesen Werken geigerisch und musikalisch überzeugend gewachsen ist der italienische Barock-Virtuose und manchmal auch Violin-Rebell Fabio Biondi mit seinem kleinen, immer wieder faszinierend schlagkräftigen, kraftstrotzenden Ensemble Europa Galante. Biondi flitzt durch die flotten Bravour-Passagen, reibt sich, auch bogentechnisch und klanglich, an Dissonanzen und ungewöhnlichen Harmonien. Nicht immer steht der Schönklang im Vordergrund. Warum nicht auch mal beherzter zupacken? Tonlich, spielerisch, auch agogisch überraschen?
Den ungewöhnlichsten Vivaldi erlebt man in diesen sechs Konzerten in den langsamen, verinnerlichten Sätzen: Fast klingen sie, als seien sie gar nicht mehr für einen fremden Zuhörer komponiert. Eher wie ein Dialog zwischen Geiger und Instrument, bei dem man – zufällig, ganz heimlich und wie durch ein Schlüsselloch – Zeuge sein darf. Ein bisschen wie die Vorfreude zu Weihnachten. Und das passt ja!
Antonio Vivaldi:
Violinkonzerte RV 186,278,282,288,330,380
Europa Galante
Leitung: Fabio Biondi
Label: Naïve
Sendung: "Leporello" am 30. November 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK