Zunächst hatte sich Ludwig van Beethoven des Diabelli'schen Walzer-Themas mit dem Schusterfleck eher zögerlich angenommen. Dann aber schuf er mit wachsender Leidenschaft seinen völlig unkonventionellen, quasi ins Utopische verweisenden Kosmos der insgesamt "33 Veränderungen".
Bildquelle: Ensemble Modern Medien
Mit diesem monumentalen Spätwerk, seiner letzten vollendeten Komposition für Klavier überhaupt, transzendierte Beethoven alles, was bisher "Variationen" genannt worden war. Nicht nur, dass gleich von Beginn an vordergründige Analogien mit dem Thema vermieden sind: mit dem Impetus formsprengender Energien exemplifizierte der Meister gleichsam schlechthin das universale Prinzip geisterfüllter Metamorphose.
Nun hat es Hans Zender unternommen "33 Veränderungen über 33 Veränderungen" zu verfertigen: keine triviale Bearbeitung, sondern eine "komponierte Interpretation" von Beethovens Diabelli-Variationen. Zender, Jahrgang 1936, ist als pluralistisch inspirierter Komponist, international gefeierter Dirigent und umfassend gebildeter Intellektueller einer der wenigen Zeitgenossen, bei dem man solch ein Unterfangen in guten Händen wissen darf. Und so geriet denn seine aktuelle Partitur zu weit mehr als "nur" einem vielschichtigen Virtuosenprobestück, bei dem das Ensemble Modern - Widmungsträger ("als Vermittler größter Lebendigkeit der Moderne") neben Alfred Brendel ("als dem Vermittler größter Lebendigkeit der Tradition") - seine wirklich atemberaubenden Fähigkeiten unter Beweis zu stellen vermag.
Noch vor der erste Ton des Themas erklingt (welches, von der Violine gespielt, kurz in Heurigen-Frohsinn zu münden sich anschickt, schnell aber mit milden Gegenfarben und Fremdakzenten durchwirkt wird) lässt Zender leise Wischgeräusche wirken: ein im weiteren Verlauf immer wieder kehrender Versuch, die hintergründige Stille als Medium purer Präsenz ins Hörbewusstsein zu rücken und zur erlebbaren Evidenz zu bringen. Mit der Veränderung der ersten Beethoven'schen Variation "Alla marcia maestoso" wird für den Hörer vollends klar, was für eine sinnlich lustvolle, geistreiche und absolut fesselnde musikalische Reise da für ihn begonnen hat. Zender bricht und ironisiert den imperialen Gestus des Marsches indem er ihn quasi vielschichtig verhallt durch polyrhythmisch und polytonal übereinander gelagerte Engführungen in unterschiedlichen Tempi.
Viele der teils zu Gruppen zusammengefassten Variationen sind aus dem Geiste gegenwärtigen Komponierens je auf ihre Weise prismatisch gebrochen, wurden de- und mit manchmal neuen Materialien re-konstruiert; andere bleiben dem Tonsatz nach eng an der Vorlage orientiert, sind aber äußerst subtil instrumentiert und mal in zauberische, mal in wetterleuchtend grelle Farben getaucht. Beethovens oft skurriler Humor findet sein Echo, aber ebenso auch jene Momente, die in seiner Kunst Aus- und Einblicke gewähren in Bezirke des Unnennbaren. Immer wieder stößt man im formal und en detail schier überbordenden Meisterwerk auf Überraschendes und alle der auch handwerklich kunstvoll inszenierten Zender'schen Veränderungen bergen ein spezifisches Geheimnis, dem auf die Spur zu kommen eminent bereichernd sein kann. Übrigens nicht nur für jene, die sich auskennen (oder auszukennen meinen) im infinitesimalen Labyrinth aus Beethovens Feder.
Ensemble Modern
Leitung: Hans Zender
Label: Ensemble Modern Medien