Nach spektakulären Wettbewerbssiegen zählt das Eliot Quartett längst zu den interessantesten Kammermusik-Newcomern Deutschlands. Zwei CDs der "Eliots" sind bereits beim Label Genuin erschienen, für das dritte haben sie sich mit dem befreundeten russischen Pianisten Dmitry Ablogin zusammengetan. Gewidmet ist das Album mit dem Titel "Le temps retrouvé" dem belgischen Romantiker César Franck im Jahr seines 200. Geburtstags.
Bildquelle: Genuin
Der CD-Tipp zum Anhören
Als Marcel Proust beim Schreiben seines Monumental-Romans "À la recherche du temps perdu" ins Stocken geriet, ließ er sich nachweislich ein bestimmtes Streichquartett vorspielen. Kein Wunder, denn das Stück ist ein Meisterwerk der zyklisch-leitmotivischen Form - ganz wie Prousts Roman. Den Titel des letzten Bandes "Le temps retrouvé" – "Die wiedergefundene Zeit" – wählte das Eliot Quartett als Motto für seine Einspielung des inspirationsfördernden Stücks.
Sein Urheber ist der bis heute unterschätzte belgische Romantiker César Franck. Er wirkte in Paris als Titularorganist der Kirche St. Clotilde und als hochgeschätzter Konservatoriumsprofessor. Doch seine Kompositionen nahm kaum jemand erst, sogar die singuläre d-Moll Symphonie erregte den Spott der Kollegen. Vielleicht war seine Musik mit ihrer Orientierung an Bach, Beethoven und Wagner einfach zu deutsch in einer Zeit des aufgeheizten Nationalismus.
Diese CD hat gefehlt, weil …
… sie César Franck als kühnen Klangzauberer vorstellt und mit dem Klischee vom entrückten Kirchenmusiker aufräumt.
Dieses Album ist ein Hörgenuss, weil …
… die fünf jungen Instrumentalisten für jeden Takt dieser eigenwilligen Musik brennen!
Diese CD hört man am besten …
… nicht häppchenweise, sondern am Stück. Vielleicht bei Madeleines und Lindenblütentee à la Proust?
Madame Franck tobte und Camille Saint-Saëns schlug die Widmung des Streichquartetts wütend aus – denn irgendwie war durchgesickert, dass es die bekenntnishaft vertonte Schwärmerei Francks für eine Schülerin war, die dem älteren Kollegen einen Korb gegeben hatte. Aber: ganz egal, was der Auslöser für die leidenschaftliche Vitalität dieser vier Sätze war: Sie ist in eine bewundernswert geschlossene Form gegossen – trotz eigenwilliger Motive, überraschender Kontraste und harmonischer Kühnheiten, die Franck seinen Schülern mit Sicherheit rot angestrichen hätte. Kein bisschen zahmer ist sein Klavierquintett, bei dem das Eliot Quartett durch den russischen Pianisten Dmitry Ablogin ergänzt wird.
Man spürt in jedem Takt die Entdeckerlust der fünf jungen Musiker an dieser romantisch-fantastischen Musik. Von der Orgel her gedacht sind die polyphone Struktur, die gewaltigen Klangsteigerungen und die oft registerhafte Gegenüberstellung von Klavier und Streichern. Leider war César Franck als Komponist ein Spätzünder und wurde 67-jährig auf dem Höhepunkt seiner Kreativität durch die Kollision mit einem Pferdeomnibus ins Jenseits befördert. Zum 200. Geburtstag hätte man ihm kein schöneres Geschenk machen können als diese brillante Einspielung. "Un compositeur retrouvé", hätte Proust vielleicht geschrieben …
César Franck:
Streichquartett D-Dur
Klavierquintett f-Moll
Eliot Quartett
Dmitry Ablogin (Klavier)
Label: Genuin
Sendung: "Piazza" am 23. Juli 2022 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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