Seit seiner Gründung 2015 macht das Chineke! Orchestra international Furore. Das wurde aber auch Zeit, denn es handelt sich um das erste europäische Orchester, dessen Mitglieder überwiegend nicht weißer Hautfarbe sind. Das angegliederte Chineke! Junior Orchestra kümmert sich um den ethnisch diversen Nachwuchs und brachte bereits Stars wie den Cellisten Sheku Kanneh-Mason hervor. Das neue, unter eigenem Label veröffentlichte, Chineke-Album ist dem britischen Komponisten Samuel Coleridge-Taylor gewidmet.
Bildquelle: Chineke! Records
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Seine Karriere so glänzend wie ungewöhnlich im viktorianischen England: Samuel Coleridge-Taylor kam 1875 als unehelicher Sohn eines Arztes aus Sierra Leone in London zur Welt. Schon während seines Studiums am Royal College of Music wuchs sein Ruf als Komponist neben weißen Kollegen wie Ralph Vaughan Williams und Holst. Die indianisch inspirierte Chorkantate "Hiawatha's Wedding Feast" machte den Zweiundzwanzigjährigen berühmt und erlangte zeitweilig die Popularität von Händels "Messias". Seine Musik erklang bei der Krönung Georges V. und Präsident Roosevelt empfing ihn ehrenvoll in den USA, wo Coleridge-Taylor zur Identifikationsfigur für viele Afroamerikaner wurde. Denn er träumte von einer Synthese zwischen europäischer Sinfonik und afrikanischen Volksweisen, etwa in seiner "African Suite".
Dieses Album hat gefehlt, weil …
… People of Colour in der Klassik noch immer absurd unterrepräsentiert sind!
Dieses Album wird lieben, wer …
… auf gut orchestrierte Ohrwürmer steht!
Dieses Album muss haben, wer …
… hören will, wie "Farbe" in die Klassik kommt! Und wie ethnisch diverse Komponisten sie für sich entdeckten!
Mit Musikethnologie hat das nichts zu tun – eher mit Dvořák und dessen "Symphonie aus der Neuen Welt"; überhaupt mit der Art, wie Komponisten der Zeit irische, ungarische, böhmische oder sonstige Melodien symphonisch adaptierten. Doch für das Publikum der Zeit brachten Coleridge-Taylors afrikanische Weisen gerade genug Exotik in seine ansonsten zutiefst romantisch geprägte Musik: Sie klingt weder nach deutschem Wald noch nach afrikanischer Steppe, sondern eher nach der Seepromenade in Brighton. In ihrer melodischen Emphase, ihrer brillanten Orchestrierung und ihrem beschwingten Charme ist sie gelegentlich einfach "British Light Music" im besten Sinne. Was anspruchsvollere Werke wie das Violinkonzert nicht ausschließt, eines der letzten Werke des mit nur 37 Jahren verstorbenen Coleridge-Taylor.
Das in London ansässige Chineke! Orchestra besteht vorwiegend aus People of Colour und hat es sich zur Aufgabe gemacht, auch ethnisch diverse Komponisten zu spielen – wie den großartigen Samuel Coleridge-Taylor: Das fulminante Chineke-Doppel-Album bietet ein vielfältiges Schaffenspanorama mit konzertanten Werken, Orchestersuiten und Kammermusik; sogar eine Komposition von Coleridge-Taylors Tochter Avril ist als Bonus in Weltersteinspielung beigegeben. Keine Studioproduktion übrigens, sondern eine Zusammenstellung von Konzertmitschnitten unter der Leitung von Kevin John Edusei oder Kalena Bowell, mit dabei sind auch das Chineke Chamber Ensemble und die Geigerin Elena Urioste. Gerade die Live-Situation macht erlebbar, wieviel Leidenschaft und Professionalität zusammenwirken im Chineke-Orchestra, das seit sieben Jahren die Klassikwelt bereichert.
Chineke! Orchestra – Coleridge-Taylor
Samuel Coleridge-Taylor:
Othello Suite op. 79
African Suite op. 35
Petite Suite de Concert op. 77
Violinkonzert op. 80
Ballade op. 33
Romanze für Violine & Orchester op. 39
Nonett op. 2
Avril Coleridge-Taylor:
Sussex Landscape op. 27
Elena Urioste (Violine)
Chineke! Orchestra
Label: Chineke! Records
Sendung: "Piazza" am 29. Oktober 2022 um 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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