BR-KLASSIK

64 CDs umfasst diese Box, und spiegelt doch nicht einmal ein Drittel von Sir John Eliot Gardiners Diskographie. Schon vor zwei Jahren hat die Deutsche Grammophon auf 105 CDs alles veröffentlicht, was Gardiner für Universal aufgenommen hat. Und dann gründete er vor knapp zwei Jahrzehnten ja auch noch sein eigenes Label, unter dem schönen Titel "Soli Deo Gloria". In dem hat Gardiner – bislang – ebenfalls gut 60 Alben veröffentlicht. Und wer weiß, was da noch kommt, der Mann wird schließlich am 20. April gerade mal 80 Jahre alt und strotzt vor ungebremstem Tatendrang.

Nebenbei gründete Sir John diverse Orchester und Vokalensembles, seit langem die besten ihrer Art und schlicht legendär. Die jetzt wiederveröffentlichten Erato-Aufnahmen spiegeln all das, auch wenn sie aus Gardiners vergleichsweise frühen Jahren stammen: die erste mit Musik von Henry Purcell von 1976, die jüngste, ebenfalls mit Musik von Purcell, von 1995, dem Erscheinungsjahr von Tony Palmers Historienfilm "England, my England". Gardiner steuerte seinerzeit mit seinen Ensembles Monteverdi Choir und English Baroque Soloists den Soundtrack bei.

Auch zum 19. Jahrhundert hat Sir John etwas zu sagen

Doch Sir John, das zeigt auch dieser frühe Ausschnitt seiner Diskographie, war nie nur ein Spezialist für die sogenannte Alte Musik, auch wenn ihn die Liebe zu Purcell, Monteverdi, Rameau, Händel und nicht zuletzt Bach auf ganz besondere Weise prägte und fasziniert. Schon unter den frühen Aufnahmen finden sich Schubert, Massenet, Berlioz, Chabrier und Anderes aus dem 19. Jahrhundert, zu dem Gardiner ebenfalls eine Menge zu sagen hatte, so in den späten Achtzigern – gemeinsam mit der wunderbaren Barbara Hendricks – auch zu Maurice Ravel oder Henri Duparc.

Überraschungen und Wiederentdeckungen

Viele Aufnahmen mit französischer Musik entstanden mit dem Orchestre de l’Opéra de Lyon, heute eines der besten in Frankreich und ebenfalls – eine Gründung von John Eliot Gardiner. Mit ihm realisierte er für Erato zum Beispiel Offenbach, Messager, Gluck, Berlioz und viele andere. Diese Erato-Box steckt voller Überraschungen und Wiederentdeckungen, eine Fundgrube. Nur erstaunlich weniges an diesen jahrzehntealten Aufnahmen ist ein wenig in die Jahre gekommen. Von Händels "Dixit Dominus" etwa mag es mittlerweile virtuosere, spannendere Interpretationen geben – in den späten Siebzigern war die Aufnahme gleichwohl ein wegweisender Wurf. Ohnehin Peanuts vor dem Hintergrund dieser 64 CDs, die fantastisch die Kunst spiegeln, mit der dieser unglaubliche Dirigent die Musikszene seit den 70er Jahren geprägt hat.

Sendung: "Piazza" am 08. April 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK