Er sah sein Leben als "eine Folge glücklicher Fügungen im Missgeschick": Tatsächlich verlor Charles Koechlin durch eine Tuberkulose-Erkrankung den Anschluss im Ingenieurstudium und realisierte so Plan B: die Komponistenkarriere. Das allerdings auf sehr eigenwillige Art und Weise, denn zwischen mittelalterlichen Kirchentonarten und fortschrittlicher Polytonalität war ihm nichts zu alt oder zu neu. Koechlin ließ sich in keine Schublade der Moderne einordnen. Jetzt erschien eine Koechlin-CD mit "Star-Qualitäten" in verschiedener Hinsicht.
Bildquelle: Capriccio
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Als Kind hatte er Astronom werden wollen – die Vorliebe für kosmische Nachtstimmungen ist ihm auch als erwachsener Komponist geblieben. Wunderbar schimmern die Sterne in "Vers la voûte étoilée", wie immer bei Koechlin in klarer, transparenter Klanglichkeit. Leuchtende Himmelskörper könnte man auch beim zweiten Titel der CD vermuten, der "Seven Stars‘ Symphony", aber weit gefehlt: Hier geht es um Filmstars der 30er Jahre, denn Koechlin wurde in fortgeschrittenem Alter zum leidenschaftlichen Cineasten. Nachdem er sich rund vier Jahrzehnte geradezu obsessiv mit Kiplings "Dschungelbuch" auseinandergesetzt und diesem Sujet einen Zyklus symhonischer Dichtungen gewidmet hatte, inspirierte ihn die (Zitat) "spirituelle Anmut und geradezu unverschämte Schönheit bestimmter Filmstars" zu dieser Hollywood-Babelsberg-Suite.
Dieses Album hat gefehlt, weil …
… dieser Komponist viel zu schade zum Vergessen ist!
Dieses Album ist ein Hörgenuss, weil …
… Koechlin und das Sinfonieorchester Basel mit Klängen zaubern können.
Dieses Album muss haben, wer …
… Stars und Sterne liebt!
Lilian Harvey etwa bezauberte Koechlin derart, dass er neben dem ihr gewidmeten Satz in der "Seven Stars Symphony" über hundert Miniaturen über sie schrieb, außerdem ein komplettes Drehbuch samt Musik, das für ihn selbst eine Rolle an der Seite der graziösen Blondine vorsah. Es blieb bei der Fantasie, wie auch die Sätze der "Seven Stars‘ Symphony" kein Soundtrack sind, sondern subjektive Impressionen von Filmen und Schauspielern. Der "Dieb von Bagdad" mit Douglas Fairbanks klingt bei Koechlin nicht nach abenteuerlicher Action, sondern duftig wie ein orientalischer Rosengarten. Charlie Chaplin ist weniger komisch als bizarr melancholisch. Emil Jannings gerät als Professor Unrat beim Anblick von Marlene Dietrich in Strapsen und Zylinder hörbar auf die schiefe Bahn. Und die einschüchternde Aura der "schwedischen Sphinx" Greta Garbo übertrug Koechlin in einen seltsam überirdischen Choral.
Der Klangzauberer Koechlin verwendete in seiner Symphonie auch die Ondes Martenot – damals, in den 30er-Jahren, ein ganz neues elektronisches Instrument, das auch Olivier Messiaen sehr liebte. Überhaupt sind die Farbtöne, die der Komponist auf seiner Palette aus Streichern, je 13 Holz- und Blechblasinstrumenten samt großer Schlagzeuggruppe zusammenmischt, verblüffend intensiv. Wobei das Sinfonieorchester Basel unter Ariane Matiakh zwar den großen Pinsel schwingt, aber immer durchhörbar und mit kammermusikalischer Finesse musiziert. Die kapriziöse stilistische Vielfalt, die Spätromantik, Impressionismus, Neoklassizismus und Atonalität nonchalant verschränkt, wird dabei lustvoll ausgekostet. Insgesamt sieben Sterne für die "Seven Stars Symphony" und einen noch immer sträflich unterschätzten Komponisten!
Charles Koechlin:
The Seven Stars' Symphony, op. 132
"Vers La Voute Etoilée" op. 129
Sinfonieorchester Basel
Leitung: Ariane Matiakh
Label: Capriccio
Sendung: "Piazza" am 25. Juni 2022 um 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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