Der spanische Dirigent Pablo Heras-Casado hat eine ungewöhnliche Karriere gemacht: Er ist bei Spezialensembles für Alte Musik wie dem Freiburger Barockorchester ebenso oft zu Gast wie bei den berühmten philharmonischen Orchestern – von den Berliner Philharmonikern über das BR-Symphonieorchester bis hin zu den Wiener Philharmonikern. Nun hat er mit den Münchner Philharmonikern alle vier Symphonien von Robert Schumann eingespielt – Bernhard Neuhoff mit einer Empfehlung.
Bildquelle: Harmonia Mundi
Robert Schumann war ein Komponist der Romantik. So steht es überall, und natürlich stimmt das auch. Schumann selbst verstand sich als Romantiker. Aber was ist Romantik? Jeder kennt und benutzt das Wort. Doch es kann ziemlich unterschiedliche Dinge bedeuten. Irgendwas mit Liebe, Kerzenschein und Sonnenuntergängen – das wären vermutlich Assoziationen, auf die sich relativ viele Menschen relativ schnell einigen könnten. Romantik ist was zum Träumen.
Doch für Robert Schumann war das nur die eine Seite. Zur wahren Romantik gehörte für ihn auch die andere: Humor, Zerrissenheit und Ironie. Denn wer romantisch träumt, wird unweigerlich irgendwann unsanft von der Realität geweckt. Deshalb ist wahre Romantik, so wie sie Schumann verstand, nicht immer nur sanft und träumerisch, sondern viel öfter noch ironisch, sprunghaft, wild.
Mit seinem Leben erfüllt Robert Schumann so ziemlich alle Klischees eines romantischen Künstlers: Die große Liebe – Schumann und seine spätere Frau Clara Wieck heirateten gegen den erbitterten Widerstand ihres Vaters. Und der Wahnsinn – Schumann starb psychisch krank in einer Heilanstalt. Ziemlich viele Konflikte prägen dieses Leben. Und doch wird seine Musik oft weichgezeichnet. Romantik wird eben meist mit einem weichen und harmonischen Klangbild assoziiert. Und so nehmen traditionelle Einspielungen Schumanns Symphonien oft ihre Schärfe, ihre Kontur. Das ist fatal.
Schumanns vier Symphonien sind voller Wiederholungen. Kleinteilige Motive werden wie in einem Puzzle auf immer neue Weise kombiniert. Wenn das nur lieb und harmlos klingt, können die vielen Wiederholungen sehr schnell ermüden. Das Missverständnis um Schumann ist alt – schon Friedrich Nietzsche verspottete ihn als "edlen Zärtling" – ein schwärmerischer Jüngling, der sich nichts traut und mit seinen ach so romantischen Gefühlen scheu in die Ecke verzieht. Leider wird seine Musik bis heute oft so gespielt: milde plätschernd.
Wie unfair und unangemessen das ist, zeigt Pablo Heras-Casado in seiner gelungenen Neueinspielung aller vier Symphonien mit den Münchner Philharmonikern. Schnelle Tempi, scharfe Kontraste, nachdrücklich sprechende Phrasierung – bei Heras-Casado kann Schumanns Romantik die ganze Fülle ihrer Bedeutungen und vor allem ihre enorme emotionale Wucht entfalten. Bei Heras Casado haben Schumanns Symphonien ziemlich wenig mit verträumten Sonnenuntergängen zu tun. Dafür umso mehr mit Rausch und Verausgabung, mit heftigen inneren Spannungen und einem oft besinnungslosen, fast manischen Aktivismus.
In dieser mitreißenden, emphatischen Interpretation erzählt Schumanns Musik von Liebe, aber von einer Liebe, die auf größte Widerstände stößt, die erkämpft werden muss. Pablo Heras-Casado zeigt, dass Schumanns nervöse, energiegeladene und konfliktreiche Romantik wenig mit zart verträumter Nostalgie zu tun hat – dafür umso mehr mit uns und unserer zerrissenen Gegenwart. Absolut hörenswert.
Robert Schumann:
Die vier Symphonien
Münchner Philharmoniker
Leitung: Pablo Heras-Casado
Label: harmonia mundi
Sendung: "Piazza" am 16. Juli 2022 um 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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