"Ich will Musik machen, an die man sich erinnert. Nicht weil ich so schnelle Finger hatte. Sondern weil sie so berührend war." Das schreibt die amerikanische Pianistin Claire Huangci auf ihrer Website. Gerade hat die 33-Jährige ein dickes Album mit drei CDs veröffentlicht. Zu hören darauf: die vier letzten Sonaten von Franz Schubert.
Bildquelle: Berlin Classics
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Wenn sie auf die Bühne kommt, sich an den Flügel setzt und spielt, verbreitet sie ansteckend gute Laune. Ganz unangestrengt. Manche Leute sind einfach so. Claire Huangci versprüht ein strahlendes Lächeln, unbändige musikantische Energie und natürliche Herzlichkeit. Aber die US-Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln aus Frankfurt am Main ist viel mehr als die mitreißende Virtuosin, die ein Publikum im Sturm erobern kann – wenn sie will. Wieviel mehr sie kann, zeigt eindrucksvoll dieses Schubert-Album.
Drei CDs, vier letzte Sonaten, Lieder und Klavierstücke – das ist etwas ganz anderes als bloß Gute-Laune-Musik. Das sind drei Stunden vollgepackt mit extremen Gefühlen. In seinen letzten Sonaten geht Schubert immer aufs Ganze. Diese Musik kann abgründig traurig sein, betörend melancholisch und so schön, dass es fast wehtut. Hier gibt es den komponierten Stillstand ebenso wie die atemlose Hetzjagd, der gemütliche Ländler kippt in den Taumel.
Natürlich gibt es auch gute Laune, die ist allerdings dann oft ein wenig überdreht. Ganz unmittelbar ins Herz trifft Schubert immer. Auch wenn er so schroff und avantgardistisch experimentiert wie im langsamen Satz der A-Dur-Sonate, wo die Musik förmlich durchdreht – ein Verzweiflungsausbruch, der einen fast erschrecken lässt.
Claire Huangci setzt aber auch hier nicht auf äußere Wirkung, obwohl sie die bei anderen Komponisten so gut beherrscht, sondern bleibt bewusst intim. Schuberts vier letzte Sonaten sind für sie keine Musik, die sich mit großer Geste an ein großes Publikum wendet. Sondern sie übermitteln sehr persönliche Botschaften. Statt auf krasse Kontraste setzt Huangci auf berührende Zwischentöne. Mit geradezu zärtlicher Genauigkeit schattiert sie den Klang. Claire Hunagci ist eine Meisterin des Anschlags. Sie kann auf dem Flügel zeichnen und singen, mit halber Stimme sprechen und Herztöne zum Pochen bringen.
Und sie rahmt die vier letzten Sonaten programmatisch klug ein – mit den späten "Drei Klavierstücken" und einigen Liedern aus dem sogenannten "Schwanengesang", einer Sammlung, die Schubert kurz vor seinem Tod komponierte. Der Bariton Thomas E. Bauer gestaltet mit großer Wärme.
Angeblich wurde Schubert mal gefragt, warum seine Musik denn immer so traurig sei. Seine verblüffende Antwort: "Kennen Sie eine fröhliche Musik?" Diese Anekdote ist wahrscheinlich nur gut erfunden, trifft aber einen Kern von Schuberts Musik: Auch in den fröhlichen Sätzen schwingt Melancholie mit. Allerdings erzählt diese Geschichte nur die halbe Wahrheit – denn Schuberts Melancholie klingt zwar traurig, macht aber nicht traurig. Sondern, paradoxerweise, glücklich – jedenfalls wenn sie so fein gespielt wird wie von Claire Huangci. Und das ist noch viel schöner als harmlose Happyness.
Franz Schubert:
Klaviersonaten D 894, 958, 959 und 960
Klavierstücke D 946
Ausgewählte Lieder
Claire Hunagci, Klavier
Thomas E. Bauer, Bariton
Label: Berlin Classics
Sendung: "Piazza" am 18. November 2023 ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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