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Filmtipp: "Nurejew – The White Crow" Porträt eines Besessenen

Das Magazin der Süddeutschen Zeitung hatte vor einigen Jahren eine Ausgabe mit Bildern von nackten Füßen: alte, junge, feindgliedrige, knubbelige… Ein Paar Füße war so zerschunden, verletzt, verkrüppelt, dass es körperliche Schmerzen beim Anschauen bereitet hat. Diese Füße gehörten Rudolf Nurejew – DEM Ballett-Tänzer des 20. Jahrhunderts, erst Star des Kirow-Balletts in Leningrad, nach seiner Flucht in den Westen gefeiert in London, Paris und Wien. Oft an der Seite von Margot Fonteyn. Der Schauspieler und Regisseur Ralph Fiennes hat nun einen Film über Nurejew gedreht.

Bildquelle: Alamode Film

Der Film-Tipp zum Anhören

Es beginnt turbulent: Zwei Wochen im Juni 1961. Rudolf Nurejew macht in Paris das, was ihn in der Sowjetunion zum unangefochtenen Star des Kirow-Balletts werden ließ: Tanzen. Und doch werden diese zwei Wochen alles ändern. Am Morgen des 16. Juni, als sein Ensemble nach London fliegt, wird Nurejew unter einem Vorwand nach Moskau zurückbeordert. Panische Angst vor Sanktionen überfallen ihn. Seine Freundin Clara Saint, wunderbar poetisch gespielt von Adèle Exarchopoulos, holt am Flughafen Le Bourget verdeckt die Polizei hinzu, Nurejew gelingt die spektakuläre Flucht.

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NUREJEW: The White Crow Trailer German Deutsch (2019) Exklusiv | Bildquelle: KinoCheck Indie (via YouTube)

NUREJEW: The White Crow Trailer German Deutsch (2019) Exklusiv

Ich sterbe lieber, als nach solchen Regeln zu leben.
Rudolf Nurejew

Herausragend und doch fremd

Regisseur Ralph Fiennes legt mit seinem Film "Nurejew – The White Crow" eine beeindruckende Charakterzeichnung des wohl prominentesten Ballett-Tänzers des 20. Jahrhunderts vor. Weiße Krähe – белая ворона – nennt man in Russland jemanden, der sich abhebt, ungewöhnlich ist, einzigartig. Jemanden, der herausragt und doch fremd bleibt. Jemanden wie Rudolf Nurejew. 1938 in der Transsibirischen Eisenbahn geboren, in Ufa aufgewachsen, war er als Jugendlicher in den Ballett-Kaderschmieden von Moskau und Leningrad. Immer allein. Immer besessen. Immer furcht- und kompromisslos. Gegen sich und gegen andere. "Ich sterbe lieber, als nach solchen Regeln zu leben", sagt er zum Ballett-Direktor und erkämpft sich Extra-Unterricht bei Alexander Puschkin, der ihm die Augen öffnet für das, was hinter der Akrobatik steht: "Wozu überhaupt tanzen? Welche Geschichte wollen wir erzählen? Was genau beabsichtige ich zu sagen?"

Kurz und bündig

Diesen Film wird lieben...
... wer ein Faible für charakterstarke Persönlichkeiten hat.

Dieser Film lohnt sich, weil...
... er einem den Künstler und die Person Rudolf Nurejew lebendig vor Augen führt und gleichzeitig an die Absurditäten des Kalten Kriegs erinnert.

Dieser Film lädt ein, ...
... sich mit Tanz und Ballett sowie mit der Politik der 60er Jahre zu beschäftigen und sich immer wieder von neuem daran zu erinnern, wie unfrei das Leben und die Kunst in Diktaturen sind.

Freiheit im Ausdruck als höchste Erfüllung

Ralph Fiennes' Film, in dem er selbst mit höchst passablem Russisch den Ballett-Lehrer Puschkin gibt, ist ein Film über das Ballett-Tanzen – auch. Es ist aber vor allem ein Film über einen Künstler und Menschen, dem Freiheit im Ausdruck die höchste Erfüllung war. Dessen Neugierde und Lebensgier, dessen Kunstsinn und Ästhetik nicht an den Grenzen der Sowjet-Ideologie haltmachten. Und der beim Gastspiel in Paris mit allen Fasern seines Körpers und seiner Seele die Unendlichkeit künstlerischer Entfaltungsmöglichkeit spürt.

Allein in den Louvre

Oleg Ivenko, der Nurejew tänzerisch und schauspielerisch virtuos verkörpert, geht zur Unzeit allein in den Louvre, mit französischen Freunden in die Nachtclubs. Lebt, tanzt und verzaubert die Welt. Unbegreiflich für die Sowjetfunktionäre: "Er versteht nichts von Politik. Er ist nur deshalb in den Westen gegangen, weil er dort tanzen kann." – "Tanzen konnte er doch auch hier?" – "Ja, schon ...", wundern sie sich.

Tanz, Freiheit, Politik

Nurejews - The White Crow | Bildquelle: Alamode Film Oleg Ivenko als Nurejew | Bildquelle: Alamode Film Fiennes' Film ist keine Biographie über Nurejew, sondern konzentriert sich – mithilfe einiger Rückblenden in die Kindheit und Jugend – auf das Pariser Gastspiel und Nurejews irrwitzige Flucht vor den Augen der überrumpelten KGB-Bonzen. Der Film will nicht lückenlos erzählen, stellt manches einfach dar, ohne Kommentar. Zeigt einen Menschen, der trotz größter Widerstände felsenfest an sich glaubt. Über die Grenzen von Egoismus und Hochmut hinaus. Er handelt von Tanz, von Freiheit und – selbst wenn sie Nurejew nicht interessierte – von Politik. Der Kalte Krieg der 60er-Jahre lebt in seiner ganzen Härte und Absurdität wieder auf, in den Bildern und Figuren, zermalmt Hoffnungen, Gefühle und Sehnsüchte. Nur nicht die von Rudolf Nurejew, der weißen Krähe, der seine eigenen Spielregeln hat und nicht nur auf der Bühne immer ein bisschen über den anderen schwebt. Großes Kino – egal, ob man Tanz mag oder nicht.

"Nurejew – The White Crow"

Regie: Ralph Fiennes
Dauer: 122 Minuten
u.a. mit Oleg Ivenko, Ralph Fiennes und Louis Hofmann

Filmstart: 26. September 2019

Sendung: "Allegro" am 25. September 2019, 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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