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Der Dirigent Christoph von Dohnányi "Man darf Tschaikowsky nicht unterschätzen"

Am 17. und 18. Januar dirigiert Christoph von Dohnányi das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in einem Konzert mit Werken von Ives, Ligeti und Tschaikowsky. Im Interview spricht er über das Programm dieses Konzerts - Ives' und Ligetis Philosophie, Tschaikowskys musikalischen Willen. Und darüber, dass er willkürliche Programme nicht mag.

Der Dirigent Christoph von Dohnányi | Bildquelle: picture alliance/APA/picturedesk.com

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BR-KLASSIK: Das Konzert für Flöte, Oboe und Orchester von György Ligeti haben Sie mit den Berliner Philharmonikern 1972 selbst uraufgeführt. Damals war Ligeti, wie man so sagt, "state of the art": einer der bedeutendsten Komponisten seiner Zeit. Seine Musik wurde sogar in Hollywood gespielt, in Stanley Kubricks Filmklassiker "Odyssee im Weltraum". Wie hat Ligetis Musik auf Sie damals gewirkt und wie wirkt sie heute?

Christoph von Dohnányi: Damals war Ligeti eben doch sehr neu, und ich war auch noch relativ neu. Jetzt bin ich nicht mehr ganz so neu, und inzwischen haben wir Ligeti natürlich sehr viel musiziert. Und man erkennt mehr und mehr, wie eigenständig und unkonventionell er komponiert hat: Die Musik sprengt den Rahmen im Dynamischen ebenso wie im Tempobereich. Erst kürzlich habe ich darüber nachgedacht: Der Schnee kommmt 'runter - und wir können jede Schneeflocke physikalisch erklären, warum sie unter diesen Umständen genau jenen Weg nimmt. Und trotzdem ist dahinter ein Wunder. Ligeti zeigt uns das in der Musik: Alles hat seinen Sinn, alles hat seine Bezüge – aber es steckt ein Wunder dahinter.

Antworten definitiver Art waren Ligeti eigentlich nicht sympathisch.
Christoph von Dohnányi

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Das Interview zum Anhören

Ligeti - ein philosophischer Komponist

BR-KLASSIK: Ligetis Doppelkonzert ist ja weniger ein Solistenkonzert als ein Ensemblekonzert. Was macht für Sie die Besonderheit dieses Werks aus?

Christoph von Dohnányi: Es ist natürlich ein Konzert; das ist ein allgemeiner Begriff, den man nutzen kann. Aber man muss sich in jedem Fall fragen, ob der Titel zutrifft – so, wie sich die Menschen ein Konzert vorstellen. Ligeti hat sich philosophisch betätigt und permanent nachgefragt. Antworten definitiver Art waren ihm eigentlich nicht sympathisch.

Was steht hinter dem Klang?

BR-KLASSIK: Damit sind wir beim zweiten Werk ihrer Stückauswahl: "An Unanswered Question" von Charles Ives. Auch ein philosophisches Werk, nicht nur ein musikalisches, kann man sagen. Denn hier geht es letztlich auch um Fragen nach der menschlichen Existenz. Was verbinden Sie inhaltlich mit diesem Werk?

Christoph von Dohnányi: Ich habe das natürlich schon öfter dirigiert, das ist ja auch eindeutig Ives' bekanntestes Werk. Aber Ives kommt irgendwie doch aus einer anderen Ecke. Das ist ja doch eine Zeit gewesen, wo das, was hinter dem Klang steht, das Entscheidende war. Ives hat natürlich diese Schneeflocken gesehen, hat sich aber mehr gefragt: warum? Ligeti fragt nicht, warum. Die Frage ist ihm eigentlich schon zu konkret.

Tschaikowsky bewegt das Warum

BR-KLASSIK: Es ist ja eine recht ungewöhnliche Programmzusammenstellung, die Sie für dieses Konzert ausgewählt haben: Ives, Ligeti und Tschaikowsky. Von Ives zu Ligeti ist es nicht so weit. Aber Tschaikowskys "Pathétique" stellt in diesem Kontext dann doch einen ziemlichen Kontrast dar. Hat Sie dieser Kontrast gereizt oder wollten sie vielleicht, dass man Tschaikowsky anders hört, wenn man vorher Ligeti gelauscht hat?

Christoph von Dohnányi: Letzteres, würde ich sagen, war eigentlich in meinem Kopf. Ich meine, dass ich ihn eigentlich in gewisser Weise in die Reihe Ives bis Ligeti irgendwo einreihen könnte, wenngleich die Menschen sicher sagen würden: Das ist ja etwas ganz anderes. Es ist ja auch ganz anders. Aber das, was Tschaikowsky bewegt hat, ist das Warum. Die Symphonie Nr. 6 war ja nicht umsonst das letzte große symphonische Werk, das er geschrieben hat.

Erst was Modernes und was Klassisches, und zum Schluss dann den Gassenhauer - das ist nicht in meinem Sinn.
Christoph von Dohnányi zur Programmwahl

Durchdachtes Programm

BR-KLASSIK: Also ein sehr existenzielles Werk, und das verbindet …

Christoph von Dohnányi: Richtig. Es gibt keine Antworten für den letzten Satz. Eine weitere "Unanswered Question", eine unbeantwortete Frage. Der Schluss ist ein Fragezeichen und kein affirmatives Ende. Das finde ich eigentlich schon sehr wichtig. Nach außen sieht das vielleicht etwas nach Programmen aus, wie sie mir eigentlich gar nicht liegen – nämlich Programme, wo man sagt: Du machst ein bisschen was Modernes und ein bisschen was Klassisches, zum Schluss kommt der Gassenhauer – und dann geht man zusammen essen. Das ist aber nicht der Sinn der Sache.

Ein sehr genauer Handwerker

BR-KLASSIK: Was ist für sie bei Tschaikowsky musikalisch-kompositorisch – speziell bei dieser Sechsten Symphonie – besonders interessant?

Christoph von Dohnányi: Ich bewundere bei ihm diese Energie, die er in dieser Zeit noch aufgebracht hat. Er hat sich nämlich enorm um Phrasierungen gekümmert, um ausgleichende Balance in der Orchestrierung. Er hat sich wirklich mit dem Handwerk auseinandergesetzt. Die Partitur ist sehr genau geschrieben, und das muss man hörbar machen. Ich bin da für sehr viel Genauigkeit: Man kann ein Accelerando nicht zu früh beenden, nur weil es einem im Moment passt. Da gibt es viele Interpretationen, die ich gar nicht mag. Man muss man aufpassen, dass man nicht unterschätzt, was bei Tschaikowsky an musikalischer Willensbildung vorhanden ist.

Infos zum Konzert

Donnerstag, 17. Januar 2019, 20:00 Uhr
Freitag, 18. Januar 2019, 20:00 Uhr

München, Herkulessaal der Residenz

Charles Ives:
"The Unanswered Question"
György Ligeti:
Doppelkonzert für Flöte, Oboe und Orchester
Peter I. Tschaikowsky:
Symphonie Nr. 6 h-Moll, op. 74 ("Pathétique")

Henrik Wiese (Flöte)
Tobias Vogelmann (Oboe)
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Christoph von Dohnányi

Sendung: "Leporello" am 16. Januar 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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