Beethoven
Freiheit über alles
Beethoven hat seinen Neffen Karl, dessen Vormundschaft er der Mutter gerichtlich entzogen hatte, in ein Erziehungsinstitut gebracht. Am 14. November 1816 schreibt er an den Direktor Giannatasio del Rio und berichtet von seinen eigenen "Erziehungskünsten".
Werter Freund! Für morgen bitte ich mir Karln aus, da’s der Todestag seines Vaters ist und wir sein Grab besuchen wollen. (…) Unterdessen hat es mich sehr gerührt, ihn so empfindlich für Ehre zu finden; schon bei Ihnen machte ich Anspielungen auf seinen geringen Fleiß, ernster als sonst gingen wir miteinander, furchtbar drückte er mir die Hand, allein dies fand keine Erwiderung. Bei Tische aß er beinahe gar nichts und sagte, daß er sehr traurig sei, die Ursache warum konnte ich noch nicht von ihm erfahren; endlich beim Spazierengehen erklärte er, daß er so traurig sei, weil er nicht so fleißig habe sein können als sonst. Ich tat nun das Meinige hierzu und zwar freundlicher als zuvor. Zartgefühl zeigt sich gewiß hieraus, und eben diese Züge lassen mich alles Gute hoffen.
Komme ich morgen nicht selbst zu Ihnen, so bitte ich Sie nur schriftlich um einige Zeilen von dem Erfolg meines Zusammenseins mit Karl. (...)
Ich lege Ihnen meine arme Weise ans Herz und empfehle mich Ihnen allen wie immer
Ihr Freund Beethoven
(Emerich Kastner, Julius Kapp (Hg.) Ludwig van Beethovens sämtliche Briefe. Leipzig 1923)