Beethoven
Freiheit über alles
Ein Begegnung, ein Gespräch mit Beethoven! Viele, denen eine solche Erlebnis zu Teil wurde, berichten darüber mit literarischem Schwung. Man hat wohl nicht alles erdichtet, aber man hatte schon ein bestimmtes Bild von ihm im Kopf, wie etwa der Schauspieler Heinrich Anschütz, der 1822 Beethoven draußen auf dem Lande begegnete …
in etwas ungeordneter Kleidung, den gedankenschweren, geistreichen, wildschönen Kopf in die linke Hand gestützt, und den Blick auf ein Notenblatt geheftet, in das er mit der Rechten mystische Runenzüge eingrub, während er in den Zwischenpausen mit den Fingern trommelte. Ich grüßte ihn, was er kurz erwiderte. (…)
Obwohl damals schon sehr schwerhörig, war er doch dem Umgang mit Menschen noch nicht ganz verschlossen. Wir wurden bald näher bekannt. Eines Tages begleitete ich ihn eine Strecke. Wir sprachen über Kunst, Musik und endlich über Lear und Macbeth. Wie zufällig warf ich die Bemerkung hin, daß mich schon öfter der Gedanke beschäftigt habe, ob er nicht als Seitenstück zur Egmont-Musik den Macbeth musikalisch illustrieren sollte? Der Gedanke schien ihn zu elektrisieren. Er blieb wie angewurzelt stehen, sah mich mit einem durchdringenden, fast dämonischen Blicke an und erwiderte hastig: ›Ich habe mich auch schon damit beschäftigt. Die Hexen, die Mordscene, das Geistermahl, die Kesselerscheinungen, die Nachtwandlerszene, Macbeths Todesraserei!‹ Es war im höchsten Grade interessant, seinem Mienenspiele zu folgen, in welchem sich die blitzschnellen Gedanken jagten. In wenigen Minuten hatte sein Genius das ganze Trauerspiel durchgearbeitet. Bei der nächsten Frage, die ich an ihn richtete, drehte er sich um und rannte nach einer flüchtigen Begrüßung davon. Leider aber war seiner stürmischen Erregung nicht die Tat gefolgt. Als ich nach einiger Zeit das Thema noch einmal berührte, fand ich ihn verdrießlich und schwieg. Welcher Schatz ist der Musikwelt durch die wachsende Verdüsterung seines Innern entzogen worden! Was müßte Macbeth mit Unterstützung seiner Töne geworden sein!
(Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Nach dem Original-Manuskript deutsch bearbeitet von Hermann Deiters, Bd. 4, Leipzig 1907)