Fanny & Felix
Die Mendelssohns: Zwei Leben für die Musik
1830 war Felix Mendelssohn Bartholdy bei seinem Gönner Goethe in Weimar. Als er sich anschließend auf eine Reise gen Süden begab, hatte er neben Goethes "Italienische Reise" auch dessen Ballade "Die erste Walpurgisnacht" im Gepäck. Der Dichterfürst war nämlich überzeugt, dass seine Ballade als Chorkantate vertont werden müsse. In Italien machte sich Mendelssohn an die Komposition der "Walpurgisnacht". Deren Uraufführung hat Goethe allerdings nicht mehr erleben können.
Bildquelle: picture alliance/Mary Evans Picture Library
Das Starke Stück zum Anhören
"Die erste Walpurgisnacht von Goethe habe ich seit Wien halb componirt, und keine Courage, sie aufzuschreiben", gesteht Felix Mendelssohn-Bartholdy seiner Schwester Fanny Hensel. Der Komponist befindet sich auf seiner Italienreise, bei der er auch einige Monate in Rom verbringt. Von dort schreibt er an den verehrten Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe, allerdings vorsichtig zurückhaltend, was die Vertonung der ersten Walpurgisnacht angeht.
"Ich glaube, dass er sich geehrt gefühlt hat und deswegen fast nicht absagen konnte", sagt die Mezzosopranistin Lioba Braun. "Er hat ja auch an Goethe geschrieben, dass er nicht weiß, ob er der Aufgabe gewachsen ist." Das klingt in Mendelssohn Bartholdys eigenen Worten so: "Was mich seit einigen Wochen fast ausschließlich beschäftigt, ist die Musik zu dem Gedicht von Eur. Exzellenz, welches die erste Walpurgisnacht heißt. Ich will es mit Orchesterbegleitung als eine Art großer Kantate komponieren. (...) Ich weiß nicht, ob mirs gelingen wird, aber ich fühle, wie groß die Aufgabe ist und mit welcher Sammlung und Ehrfurcht ich sie angreifen muß."
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Ich glaube schon, dass das aus der heidnischen Zeit kommt, wo man an Hexen geglaubt hat.
Lioba Braun | Bildquelle: © Susie Knoll
Felix Mendelssohn-Bartholdy war ein selbstkritischer Komponist, der seine Werke häufig überarbeitet hat. Zudem hatte er in Rom über seine Familie erfahren, dass Goethes Gesundheit stark angegriffen war. Die Wertschätzung, ja Verehrung des großen Dichters, und die Sorge um dessen Zustand haben ihm das Vertonen von dessen Ballade sicher nicht einfacher gemacht. Doch Mendelssohn Bartholdy ist 1831 beileibe nicht unerfahren. In der "Ersten Walpurgisnacht" scheint das Spiel mit Licht und Schatten auf, das die "Schottische Symphonie" prägt. Und die Lebenslust, die die "Italienische Symphonie" bestimmt, klingt im freudigen Frühlingslied der "Walpurgisnacht" durch.
Das Volk, das hier im Frühling auf die Bergeshöhen hinaufstrebt, will dort einen "alten heil’gen Brauch" begehen. Eine heidnische Opferhandlung. "Ich weiß es aus meinem Dorf, dass ich alles Bewegliche im Vorgarten wegräumen muss", erinnert sich Lioba Braun. "Denn es ist ein Brauch, dass die jungen Leute dann irgendetwas auf den Kopf stellen oder mit Toilettenpapier einwickeln. Ich glaube schon, dass das aus der heidnischen Zeit kommt, wo man an Hexen geglaubt hat. Es ist ja auch in der 'Walpurgisnacht' viel von Druiden und Priestern die Rede, es handelt sich also um einen vorchristlichen Inhalt. Insofern hat das vielleicht mit einer Seite in uns zu tun, die ab und zu an solche Dinge glaubt und die sich eine Hexe vorstellen kann. Wir sprechen ja heute noch etwa von einem Hexenschuss."
Goethes Balladen-Text wurde in der Komposition komplett übernommen und erinnert an einen religiösen Konflikt. Nachdem das Christentum sich in Deutschland durchgesetzt hatte, wurden die heidnischen Bräuche verboten und scharf verfolgt. Daher warnt die Altistin in dieser Kantate vor den "strengen Überwindern". Lioba Braun, die die Rolle schon gesungen hat: "Die einzige Dame in dieser Besetzung ist ein Weib aus dem Volk. Ich vermute, Goethe hat diese Figur verwendet, um nicht eine reine Männergeschichte daraus zu machen". Eine große Interpretationsmöglichkeit gebe es für diese Rolle nicht, so Braun. "Sie ist ein Rädchen in diesem ganzen Uhrwerk."
Felix Mendelssohn-Bartholdy bei Goethe, Gemälde (1864) von Moritz Daniel Oppenheim | Bildquelle: ©picture alliance/akg-images
Obwohl die Ausübung des heidnischen Frühlingsbrauches unter Androhung von Verfolgung und Tod verboten ist, wird die Walpurgisnacht auf den Höhen des Harzgebirges gefeiert. Um die "Pfaffenchristen" abzuschrecken, verkleiden sich die Heiden als Teufelsfratzen. Felix Mendelssohn Bartholdy hat es besonderen Spaß gemacht, diesen "Hexenspuk" zu komponieren. Auch die Sängerin Lioba Braun begeistert sich für diesen ausdrucksstarken Moment. "Ich muss mich immer etwas amüsieren, wenn der Herrenchor singt: 'Kommt, kommt, mit Zacken und Gabeln'. Das ist für mich schon ein wenig komisch."
Die Verfolger werden mit ihren eigenen Waffen geschlagen, also durch ihren eigenen Aberglauben abgeschreckt. Sie sehen bloß verhexte Höllengeister. Geschützt durch den Spuk begehen die Druiden ihre heidnischen Opferrituale. "Und raubt man uns den Brauch - dein Licht, wer kann es rauben". Zu Goethes weisem Text findet Felix Mendelssohn Bartholdy Klänge, die das Mysterium des Glaubens feiern. Es ist eine ungewöhnliche Kantate - noch heute kann sie uns auf religiöse Intoleranz und daher auch auf Toleranz aufmerksam machen.
Felix Mendelssohn Bartholdy:
"Die erste Walpurgisnacht", op. 60
Weltliche Kantate für Soli, Chor und Orchester
Lioba Braun (Alt)
Klaus Schneider (Tenor)
Rudolf Rosen (Bass)
Chor des Bayerischen Rundfunks
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Michael Gläser
Eigenaufnahme des BR
Sendung: "Das starke Stück" am 24. April 2018, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK