Der Hornist Felix Klieser hatte heute einen ungewöhnlichen Auftritt. Vor der Kanzlerin und den Abgeordneten des Deutschen Bundestags interpretierte er am Holocaust-Gedenktag das Werk eines Komponisten, der von den Nationalsozialisten als "entartet" gebrandmarkt wurde.
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Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Truppen die Gefangenen des größten NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Seit 2005 wird an diesem Tag weltweit der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Auch im Deutschen Bundestag fand heute Vormittag eine Gedenkstunde statt, bei der erstmals die rund 300.000 Opfer der NS-Euthanasie-Morde im Zentrum standen. "Wir gedenken in diesem Jahr besonders der Kranken, Hilflosen und aus Sicht der NS-Machthaber 'Lebensunwerten', die im sogenannten 'Euthanasie'-Programm ermordet wurden", sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert.
Nach Berlin geladen waren auch zwei Künstler mit Behinderung. Der Schauspieler Sebastian Urbanski und der Hornist Felix Klieser. "Es war eine wirklich ergreifende Gedenkstunde im Bundestag - und auch eine große Ehre dabei zu sein", schrieb Felix Klieser auf Facebook. Begleitet vom Pianisten Moritz Ernst spielte Klieser bei der Gedenkstunde "Todeserfahrung" von Norbert von Hannenheim - die Vertonung eines Textes von Rainer Maria Rilke. Die Nationalsozialisten hatten die Musik von Hannenheims als "entartet" bezeichnet.
Wir sollten den Holocaust-Gedenktag nicht nur als historischen Tag abtun, sondern uns das Unvorstellbare vor Augen führen.
Bildquelle: picture-alliance/dpa Felix Klieser kam ohne Arme zur Welt und spielt sein Instrument mit dem linken Fuß. Für den 25-jährigen ist der Holocaust-Gedenktag eine Mahnung an jüngere Generationen, wie er im Vorfeld gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur sagte. "Wir sollten den Holocaust-Gedenktag nicht nur als historischen Tag abtun, sondern uns das Unvorstellbare vor Augen führen." Für ihn seien die demokratischen Werte eine Selbstverständlichkeit, sagte Klieser. "Doch gerade in einer Zeit, in der es wieder an der Tagesordnung ist, dass Minderheiten öffentlich beleidigt werden, ist es wichtig, nicht nur die Errungenschaften der Vergangenheit zu sehen, sondern sich zu fragen, wie diese bewahrt werden können." Seiner Meinung nach bestünde die große Gefahr darin, dass wir Dinge wahrnehmen würden, aber nicht die Vorstellungskraft besäßen, wie weit sich Strömungen entwickeln könnten.
Noch drastischer drückte es der Schauspieler Sebastian Urbanski aus, der 1978 mit dem Down-Syndrom zur Welt kam. "Heute werden zwar Menschen wie wir nicht mehr umgebracht, dafür aber kaum noch geboren. Das ist der gleiche Vorgang, nur etwas anders." Er las bei der Gedenkstunde aus einen Brief von Ernst Putzki, der 1945 in der Tötungsanstalt Hadamar ermordet wurde.