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Interview mit Antoine Tamestit "Dieses Schreien war in mir"

Schreien, Singen, durch das Orchester wandern: Antoine Tamestit wird bei Jörg Widmanns Violakonzert einiges abverlangt. Über seine Erfahrungen mit diesem extrem virtuosen Stück spricht der Bratschist im Interview mit BR-KLASSIK.

Antoine Tamestit | Bildquelle: Eric Larrayadieu

Bildquelle: Eric Larrayadieu

BR-KLASSIK: Antoine Tamestit, im Violakonzert von Jörg Widmann spielen Sie nicht nur, sondern Sie sind auch Schauspieler. Sie haben ein paar kleine szenische Anweisungen, vor allen Dingen bewegen Sie sich während des Spielens von Platz zu Platz. Sie haben bei diesem Stück sieben verschiedene Standorte mit sieben Notenpulten. Wie fühlt sich das an?

Antonine Tamestit: Es ist nicht einfach, während des Spielens zu laufen und gleichzeitig gut zu spielen. Aber es gibt zwei Aspekte in diesem Viola-Concerto, diese theatralische Ideen. Widmann hat die Bewegung in dieses Konzert vielleicht als einen Witz oder eine Idee von meiner Persönlichkeit hinein komponiert. Und der zweite Aspekt ist die Reise, ich reise durch das Orchester. Das ist ein anderer Witz oder eine andere Geschichte von Jörg, dass die Bratschisten immer einen Weg in der Musik suchen. Wir wissen nicht immer, ob wir Kammermusiker oder Solist sind, ob wir Rezitals spielen wollen oder mit Orchester. Ich suche meinen Weg bei diesem Viola-Concerto. Und ich finde am Ende mit den Streichern einen Weg zwischen romantischer und moderner Musik. Das gefällt mir sehr, und ich bleibe da.

BR-KLASSIK: Da steckt sehr viel drin in dieser Idee des Wanderns durch das Orchester. Das bedingt natürlich auch eine andere Form des Kontakts mit den Orchestermusikern. Eine größere Nähe, auch mehr Kommunikation.  

Antonine Tamestit: Ja, ich glaube wir sollten uns bei einem normalen Konzert daran erinnern, dass die Form eines Konzert mit Orchester, ein Concerto Grosso oder ein Kammerkonzert ein Dialog, ein Gespräch mit einem oder mehreren Instrumenten ist. Jörg Widmann führt das zu einem Extrem, das ist am Anfang eines Konzerts sehr gut für die Ohren.

BR-KLASSIK: Sie dürfen laut Partitur den Bogen die ersten zehn Minuten des Konzerts nicht streichen. Wie ist das dann für Sie, wenn Sie den Bogen fast wie in einem rituellen Akt in die Luft halten, und dann endlich streichen dürfen?

Antonine Tamestit: Widmann schreibt das so. Das war auch die Idee dieser Reise, dass ich mein Instrument entdecke. Ich finde die Kinnstütze, die Saiten, und dann entdecke ich das Pizzicato. Ich spiele dann mehr und mehr Pizzicato mit beiden Händen. Und dann nach 12 Seiten denke ich: Was kann ich jetzt machen? Und dann: "Oh, hier liegt ein Bogen. Was ist das?" Und dann probiere ich nur einen Ton, dann entdecke ich langsam und sehr leise den Ton mit dem Bogen.

BR-KLASSIK: An einer Stelle gibt es auch Gesang von Ihnen, und sogar einen Schrei. Was soll das ausdrücken?

Antonine Tamestit: Ich glaube, Jörg Widmann wollte noch einmal die Persönlichkeit des Solisten herausheben. Was kommt von meinem Herz, was von meinem Bauch, was ist die Emotion? Dieses Schreien ist auch eine Konsequenz dieser Emotion. Ich mache ein Crescendo, das sich über acht Seiten erstreckt. Am Ende habe ich keine Lösung mehr. Ich kann nicht höher und nicht lauter spielen. Das gab es aber auch in anderen Stücke, wo ich nicht schreie. Aber dieses Schreien war in mir.

Das Interview führte für BR-KLASSIK Uta Sailer.

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