Die Vielfalt der Kultur in Deutschland sichtbar zu machen – daran arbeitet das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO. Auf der Liste stehen bereits der Orgelbau, die deutsche Weinkultur oder das Märchenerzählen. Und vielleicht ja auch ab 2023 das deutschsprachige Liedgut. Bariton Benjamin Appl setzt sich dafür ein.
Bildquelle: © Falk Kastell
Der Liederzyklus "Winterreise" von Franz Schubert ist eines der Werke, zu denen Sängerinnen und Sänger ihr Leben lang zurückkehren. Bariton Dietrich Fischer-Dieskau hat während seiner Karriere ganze zehn Einspielungen veröffentlicht. Das zeigt, wie grenzenlos und tief die Auseinandersetzung mit der reichhaltigen Gattung Kunstlied sein kann. Um dieses besondere Wort-Ton-Verhältnis zu würdigen, hat Bariton Benjamin Appl gemeinsam mit dem Internationalen Liedzentrum Heidelberg eine Initiative gestartet: das deutschsprachige Liedgut soll immaterielles Kulturerbe der UNESCO werden.
Wichtig ist, dass es nicht nur musealen Charakter hat, sondern im Jetzt aufgeführt wird.
Der Gedanke, das Liedgut auf die Bühne des Weltkulturerbes zu heben, schlummerte schon lange in Benjamin Appl, das erzählt er im BR-KLASSIK-Interview. Das Kunstlied begleite ihn Zeit seines Lebens, seine Erfahrungen bei den Regensburger Domspatzen sowie lehrreiche Studien bei Edith Wiens und Begegnungen mit Fischer-Dieskau hätten es immer in den Vordergrund seiner Arbeit gerückt. Und dann war es eine Liederabend-Tournee durch Indien vor einigen Jahren, als er von einer Mitarbeiterin der deutschen UNESCO begleitet wurde, die schließlich die Anregung für diese Überlegung gab. Als verlässlichen Partner hat sich Appl das Internationale Liedzentrum Heidelberg ausgesucht. Weitere Unterzeichner sind die Landesmusikräte, das Deutsche Literaturarchiv Marbach sowie die Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen.
Das Lied ist Ausdruck einer gemeinschaftlichen wie auch individuellen kulturellen Identität. Und damit ist es von unschätzbarem Wert.
Das HIDALGO-Festival in München: Kunstlieder in der Fußgängerzone. | Bildquelle: Max Ott Wichtig für die Bewerbung um das Immaterielle Kulturerbe bei der UNESCO war, so Appl, das deutschsprachige Kunstlied als aktuelle Kunstform darzustellen. Das Liedgut also in die Jetztzeit zu übertragen und zu zeigen, wie es momentan aufgeführt wird. Und diese Aufführungspraxis sei sehr divers. Klassische Liederabende stünden neben interdisziplinären Projekten, die sich anderen Kunstformen wie Tanz und Video öffneten. Weitere Fragen betrafen die Ausbildung oder die Möglichkeit für Laien, Liederabende aufzuführen.
Seit 2003 erkennt die UNESCO, die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation, immaterielles Kulturerbe an. Das können Tänze, Bräuche, Handwerkskünste oder musikalische Traditionen sein. In den letzten Jahren wurden zum Beispiel die finnische Saunakultur, die musikalische Praxis "Morna" der Kapverdischen Inseln oder Musik und Tanz der Dominikanischen Republik als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Zusätzlich ist auch Deutschland dem UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes 2013 beigetreten. Auf der deutschen Liste der zu erhaltenden Kulturgüter stehen beispielsweise Posaunenchöre, Poetry Slam, der Streuobstanbau oder die Chormusik in deutschen Amateurchören.
Ob auch das Kunstlied tatsächlich als UNESCO Kulturerbe anerkannt werden kann, wird in einem mehrstufigen Verfahren geprüft. Zunächst findet eine Vorauswahl der Länder statt. Die Entscheidung auf Bundesebene wird von der Deutschen UNESCO-Kommission getroffen und ist für Anfang 2023 zu erwarten. Bis dahin wollen Benjamin Appl und seine Mitstreiter den Prozess begleiten. Schulprojekte und Musik in Seniorenheimen stehen auf dem Programm. Denn es solle nicht nur um den Titel gehen, so Appl. Es gelte, den Schatz, den das Kunstlied birgt, neu zu beleben und mitten in die Gesellschaft hineinzutragen.
Sendung: "Allegro" am 15. Dezember 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Mittwoch, 15.Dezember, 11:30 Uhr
Thomas
Amsel
Schuberts Zyklus heißt "Winterreise", ohne Artikel.
Antwort von BR-KLASSIK: Vielen Dank für den Hinweis, wir haben den Fehler korrigiert!