Warum geht im Fußball das, was in der Musik nicht geht? Warum erlaubt die Staatsregierung der UEFA in der Allianz-Arena in München vor 14.000 Fans zu spielen, und warum gelten die gleichen Regeln nicht für die Klassik Open Airs und die Stars im Luitpoldhain in Nürnberg?
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Gehen von 14.000 euphorischen Fußballfans weniger Aerosol- und Ansteckungsgefahren aus als von 8.000 brav in abgesteckten Parzellen hockenden, ruhig und friedlich lauschenden Klassikfans? Und warum geht das dann aber wieder doch auf dem Münchner Odeonsplatz, der viel kleiner ist als das Luitpoldgelände und dennoch von 2.000 Klassikliebenden pro Konzert besucht werden darf? Und wenn wir jetzt mal über den bayerisch-fränkischen Tellerrand schauen und mit einem kurzen tiefen Schnaufer Berliner Luft schnuppern, dann durften dem diesjährigen Waldbühnen-Open-Air ca. 5.000 Menschen lauschen, von normalerweise 20.000. Und jetzt aber richtig ausatmen!
Stars im Luitpodhain 2019 | Bildquelle: www.uwe-niklas.com Dabei hatte die Stadt Nürnberg bei ihren Planungen für die diesjährigen Open-Air-Ereignisse weiß Gott nicht nach hoch funkelnden Sternen gegriffen. Dort im Luitpoldhain, wo normalerweise pro Open Air über 80.000 Menschen klassische Musik friedlich genießen, wollte man in diesem Jahr extrem runtergehen und sich, fränkisch bescheiden, mit 8.000 Fans begnügen. Bei der zur Verfügung stehenden Fläche von 140.000 qm hätte das einer Auslastung von nicht einmal 10 Prozent entsprochen! Aber: Nicht genehmigt! 2.000 Besucherinnen und Besucher – da wäre die Politik gerade noch mitgegangen. Das entspricht 2,5 % der Maximalauslastung! Gegenüber den entstehenden Kosten wäre das für die Stadt schlichtweg ein finanzielles Harakiri! Beim Odeonsplatz gelten offenbar andere Gesetze. Da dürfen 25% des maximal möglichen Publikums den Odem der Musik atmen. Und das ist gut so! Aber warum wird dem Münchner Publikum gewährt, was den Nürnbergern verwehrt wird? Oder hat man da bei der Prozentrechnung vielleicht einfach nur ein Komma übersehen?
Was haben sich die Verantwortlichen in Nürnberg ins Zeug gelegt! Nicht zuletzt der Kontaktnachverfolgung wegen hatten sich die engagierten Macher ein kluges und verantwortungsbewusstes Konzept ausgedacht, das nach Expertenmeinung allen gesundheitsbehördlichen Anforderungen genügt hätte und abgesegnet worden wäre. Aber wen schert's? Ministerpräsident Söder nicht und Kunstminister Sibler ebenso wenig. Es ist zum aus der Haut fahren, nein, schlimmer noch! Hier wird an den Grundfesten unserer kulturellen, und eben nicht nur musikalischen Versorgung gesägt. Als ob die Pandemie, dieses miese kleine Coronavirus, nicht schon genug Schaden angerichtet hätte. Die Politik setzt noch eins drauf! Ohne Not, ohne Transparenz, ohne Augenmaß!
Klassik Open Air Nürnberg 2018 | Bildquelle: © Marc Pfeiffer Selbstverständlich ist es richtig, die Bevölkerung zu schützen, Fürsorge walten zu lassen. Nicht übermütig und vorschnell leichtsinnig zu werden! Aber das Spiel muss für alle nach gleichen Regeln funktionieren. Des einen Tor kann nicht der anderen Abseits bedeuten. Es ist das Verdienst der Nürnberger Kulturpolitik, seit 20 Jahren einer breiten Bevölkerung Klassik barrierefrei und niederschwellig nahezubringen. Und das Prinzip funktioniert prächtig. Jung, alt, Schlager- oder Klassikfan – im Luitpoldhain passiert seit 20 Jahren genau das, was wir uns doch alle so sehr wünschen: Offenheit, Begeisterungsfähigkeit, Neugier auf Musik und auf "das Unbekannte", "das Andere"! Was für eine gesellschaftliche Teilhabe. Was für ein Pfund für den gesellschaftlichen Frieden! Gerade auch in schwierigen Zeiten. Ein hohes Gut, das die Staatsregierung mit ihrer Entscheidung verspielt.
Und es steht noch viel mehr auf dem Spiel! Dass das Publikum in Nürnberg die großen Klassik-Open-Airs und alle zwei Jahre die Stars im Luitpoldhain umsonst genießen kann, hat es auch den treuen Sponsoren zu verdanken, die dieses Ereignis Jahr für Jahr finanziell massiv unterstützen. Mit 2.000 zugelassenen Gästen aber kann die Stadt den finanziellen Kraftakt nicht ansatzweise verantwortlich stemmen. Doch machen wir uns nichts vor: Sponsoren sind keine Mäzene. Sie investieren nach klaren Gesetzen. Sie wollen Umwegrentabilität, Sichtbarkeit. Dazu braucht es Planbarkeit. Wenn die aber nicht mehr gegeben ist, sind sie weg und suchen sich sicherere Betätigungsfelder. Und da könnte dann ganz schnell König Fußball wieder absahnen… Und die Musik? Ja wo spielt sie nur …?
Kommentare (8)
Samstag, 10.Juli, 11:18 Uhr
Sandro Roch
Klassik Open air
Leider zeigt diese Entscheidung, mal wieder, auf welch gesellschaftliche Schwerpunkte wir legen.
Beim Fussball dürfen 14000 ( 60000) Zuschauer dabei sein. Qatar Airways als Hauptsponsor auftreten.
Aber Hochkultur wird unterbunden.
Nicht falsch verstehen, auch ich liebe Fußball. Aber Kultur ist kein Sahnehäubchen. Sie ist existenziell für uns, für die Gesellschaft, für das Zusammenleben und vermitteln von Werten.
Dies unterscheidet uns, vor allem, von den anderen Säugetieren.
Wenn wir diese wichtige Aufgabe nicht erkennen und wieder stärker in Focus rücken brauchen wir uns nicht wundern, wenn die Gesellschaft sich in eine Richtung entwickelt in der Parteien gewählt werden, die mehr als rechts aussen liegen.
Donnerstag, 08.Juli, 11:07 Uhr
Katrin lachmund
Was hat die Musik der Politik nur angetan?
Sie haben ja so unendlich Recht mit Ihrem Komemntar! Fussball hat anscheinend in diesen Wahlkampfzeiten den so wichtigen Nimbus der Volksnähe. Außerdem ist das ja auch "echtes" big business. Da steht die Kultur hinten an. Der Kulturgenuss gehört ja " nur" in die weichen Kategorien der Mehrwertschöpfung für die Gesellschaft. Und die Förderprogramme in der Kultur zielten ja eher auf die harten Faktoren: neue Bestuhlung kaufen, neue Brandbekämpfung einbauen. Materielismus eben. Da wundert es mich nicht, wenn die intellligenten und gut durchdachzten Hygienekonzepte der Kulturbranche so lässig beiseite gefegt wurden.
Sonntag, 04.Juli, 18:11 Uhr
Gloser Günter
Klassik Open Air
Sehr geehrte Frau Adamski-Störmer,
ich danke Ihnen für den Kommentar. Die Entscheidung reiht sich in die Peinlichkeiten der letzten Monate ein. Wenn auch die Kultur nicht mehr in den Kategorien Bordelle, Massagesalons etc. zugeordnet wird, so hat sie dennoch bei den politisch Verantwortlichen nie den notwendigen Stellenwert erreicht. Man feiert sich allein wegen der finanziellen Programme, anstatt die kontrollierbaren Ermöglichungsräume zu schaffen- und das im Kulturstaat Bayern. Ein Trauerspiel!
Günter Gloser
Samstag, 03.Juli, 13:06 Uhr
Dioeter Weberpals
Klassik Open Air Nürnberg abgesagt
Liebe Ursula Adamski-Störmer,
ich möchte mich ausdrücklich für diesen Kommentar zur Absage des Klassik Open Airs bedanken! Wir brauchen viele hörbare Stimmen in diesen Zeiten der Ignoranz. Auch wir könnten "aus der Haut fahren", ob dieser schändlichen /Kultur-)Politik. Das ist ja leider nur die Spitze des Eisberges.
Bitte bleiben Sie bitte weiterhin so engagiert.
Samstag, 03.Juli, 09:20 Uhr
Schwander
Das ist wirklich schade. Ungleiche Spielregeln fördern die Spaltung in der Gesellschaft. Ich glaube nicht, dass König Fussball, sondern die internationalen Finanzen das durchgeboxt haben. Die Deltavariante des Coronavirus freut‘s.
Nicht aufgeben. Es kommen wieder andere Zeiten!!!
Samstag, 03.Juli, 06:50 Uhr
Udo Werner
Absage Klassik Open Air
Danke für Ihren treffend formulierten Kommentar, Frau Adamski-Störmer. Ich befinde mich seit gestern, als die Absage publik wurde, in einer Art Ohnmachtszustand, verstehe die Welt nicht mehr und frage mich, wo denn der von den Herren Söder und Sibler vollmundig angekündigte "Bayerische Kultursommer" eigentlich stattfindet - im heimischen Garten mit Hausmusik?
Freitag, 02.Juli, 18:01 Uhr
Gertrud Funke
Klassik Open Air in Nürnberg abgesagt
Das Klassik Open Air in Nürnberg wurde von den "zuständigen Ordnungsbehörden" abgesagt und der Bürgermeister der Stadt akzeptiert das "schweren Herzens".
Was sitzen da für Leute in den Ordnungsbehörden und was ist das für ein Bürgermeister, frage ich mich. Läge ihm an der Musik, würde er sich dafür einsetzen, da bin ich sicher. Aber unsere Politiker schämen sich ja nicht einmal dafür, Kunst als "nicht systemrelevant" zu bezeichnen.
Wer von ihnen spielt denn ein Instrument oder singt gar, wie weiland unser guter Walter Scheel? Oder kann gar ein Gedicht rezitieren? Oder selber dichten wie Vaclac Havel?
O tempora, o mores!
Freitag, 02.Juli, 17:09 Uhr
Maria März
Klassik Open Air abgesagt
Vielen Dank für Ihren engagierten Kommentar! Es ist wirklich unverständlich, warum manche Dinge "gehen" und manche nicht. Es ist eben einfach nicht alles gleich, manches ist gleicher. Fußball, München.... Warum werden dort Ausnahmen gemacht? Warum dürfen auch in die Staatsoper prozentual mehr Menschen als in die Staatstheater Nürnberg und Augsburg oder in die Landestheater? Man gewinnt dann eben doch sehr schnell den Eindruck, dass München (immer noch) bevorzugt wird. Ich empfinde diese Ungleichbehandlung als eine Missachtung gegenüber den Menschen und ihrer Arbeit und das Schweigen der Regierung dazu als sehr beredt. Man erhält sich die Kultur in München für sich selbst und das Prestige. Woanders ist sie offenbar nicht so wichtig. Die Ohnmachtsgefühle lassen sich kaum in Worte fassen.