Das Gehirn eines klassischen Musikers liefert perfekte Tonfolgen, das Gehirn eines Jazzers reagiert flexibel auf unerwartete Klänge. Hat das Folgen über die Musik hinaus? Unser Kolumnist hat seine Erfahrungen mit Gehirnen von Musikern gemacht.
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Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben sich mit Gehirnen von Musikern aus Klassik und Jazz beschäftigt. Dabei haben sie herausgefunden, dass sich Gehirne von Vertretern der verschiedenen Sparten im Lauf ihrer Karriere unterschiedlich entwickeln: Gehirne von "Klassikern" fokussieren sich zunehmend auf technische Perfektion, die von Jazzern entwickeln immer stärker die Bereitschaft zur Improvisation und des sich Einstellens auf unerwartete Wendungen.
Das ist doch interessant: Was passiert mit den Gehirnen von Musikern – wie beeinflusst sie das permanente Spielen? Ich befasse mich gerne mit Hirnforschung. Ich finde, diese Disziplin ist in der Lage, Phänomene zu erklären, die mir ansonsten unverständlich geblieben wären. Oder mit deren Bewertung ich mich einsam, voreingenommen gefühlt habe. Sie liefert mir Argumente, dass ich mit meinen Endrücken – immer mal wieder – nicht ganz daneben liege.
Flexibel, weil Jazzer? Der Pianist Herbie Hancock. | Bildquelle: Martial Trezzini-dpa
Zum Beispiel diese Sache mit den Musikern. Kurz gesagt: Jazzer bleiben flexibel, Klassiker fokussieren sich immer mehr auf ihre Technik. Das liegt, so die Studie, daran, worauf das Gehirn von seinen Besitzern trainiert wurde. Und das kann ich mir gut vorstellen: Jazzer müssen sich immer etwas Neues einfallen lassen und darauf achten, was sie von ihren Mitmusikern zugespielt bekommen. Die Klassiker hingegen kleben in ihren Noten oder lernen sie auswendig. Ihre ganze Anstrengung stecken sie da hinein, ja keine der Noten falsch zu spielen oder gar auszulassen. Immer wieder kommt es vor, dass Klassik-Musiker auf mich wie Maschinen wirken, die ein ihnen vorgegebenes Programm abarbeiten. Die eine Maschine spuckt eine perfekte Schweißnaht aus, die andere ein perfektes Brahmskonzert.
In dieser Ansicht bestärkt hat mich so manches Interview, das ich für meine Arbeit mit Musikern geführt habe. Wie oft habe ich dieselben Antworten bekommen! Großartiger Komponist, einzigartige Herausforderung, wahnsinniger Respekt, ich bin so glücklich, das Brahmskonzert zum ersten Mal in Wien spielen zu können, jaja.
"Gott hat uns das Gold dieser Kunst in die Kehle gelegt", sagt Tenor Michael Schade. | Bildquelle: photo-graphic-art
Wenn ich an die klassische Musik denke, fallen mir immer wieder Parallelen zum Sport ein. Wie beim Sport kommt es bei der Klassik auch darauf an, bestimmte Abläufe des Körpers so präzise zu trainieren, dass ein optimales Ergebnis dabei herauskommt. Wenn ich nicht genug übe, gelingt der Lauf nicht exakt. Wenn ich nicht genug trainiere, treffe ich den Ball nicht präzise. Es geht sogar so weit, dass auch in der Klassik Zeiten verglichen werden. Furtwängler brauchte für Beethovens Dritte soundsoviel Minuten. Karajan war eine Minute schneller. Für manche Menschen zählt das.
Wie den körperlich total beanspruchten Sportlern fällt dann auch den Klassik-Musikern auf Anfragen nicht viel mehr ein als begeistertes Gestammel. Künstler bilde, rede nicht…. An dieses Wort von Goethe, das sich einst auf literarische Autoren bezog, mögen viele der Künstler selbst denken, wenn sie vor ein Mikrophon oder sogar eine Kamera gezerrt werden. Ich erinnere mich gerne an große Verweigerer solcher Wortspenden wie Jessye Norman oder Krystian Zimmerman, die dennoch oder vielleicht gerade deshalb hoch verehrt wurden. Ihre Kunst ist es, die für sie spricht.
Denn wie die Sportler sind die Klassik Künstler am Ende allen Trainings oft intuitiv und wissen gar nicht, welche Befehle ihr Gehirn den Händen, dem Zwerchfell oder den Stimmbändern gegeben hat. Wie sollen sie das dann in Worte fassen? Der Tenor Michael Schade fand eine Formel, die jede Diskussion beendet: "Gott hat uns das Gold dieser Kunst in die Kehle gelegt." Und somit war es auch dem Schöpfer überlassen, wie viel Platz es im Musikerhirn für Noten, wie viel Platz es für die Extras gibt.
Er schimpfte auf den Musikbetrieb und stand auf Frauen und Ferraris: Der Pianist Friedrich Gulda. | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Eine Begebenheit will ich an dieser Stelle berichten. Sie stammt aus dem Zwischengebiet zwischen Klassik und Jazz. Dort lebte ein ganz Großer der Musikkunst, der so unvergesslich Grandioses wie unvergleichlich Bizarres hinterlassen hat: Friedrich Gulda. Er war ebenso eigensinnig wie wortgewaltig, ein echter Österreicher eben. Ein zutiefst bewundernswerter Klassik-Pianist und ein furchtloser Komponist seiner eigenen Avantgarde. Als am Rand der Salzburger Festspiele die Aufführung eine von Guldas Mozart-Performances anstand – dabei kamen auch Erotik-Tänzerinnen zum Einsatz – wollten wir, die "Salzburger Nachrichten" waren damals mein Arbeitgeber, ein Interview mit ihm verabreden. Seine Agentur ließ ausrichten, dass das nicht in Frage käme. Etwas später rief der Meister selbst an, von seinem Wohnsitz am Attersee. Man könne kommen, sagte er. Aber Fragen stellen dürfe man keine. Er würde selbst sagen, was er zu sagen habe.
Ich fuhr hin. Vor seiner Residenz, dem ehemaligen Postgebäude der Gemeinde, stand das Markenzeichen des Friedrich Gulda: ein roter Ferrari. Gulda empfing mich selbst an der Türe, in weißem Gewand, sein weißes Käppi auf dem Kopf. Er führte mich durch sein Haus, der rote Ferrari war eindeutig der wertvollste Gegenstand in der Umgebung. Nicht einmal ein großer Flügel war zu sehen; alles, was Tasten hatte – bei einem der Großmeister des Klaviers – waren elektrische Keyboards. Gulda betonte nochmals, dass er auf Fragen nicht antworten werde. Aber er wolle erzählen, mir Dinge zeigen. Also erzählte er von Mozart. Davon, wie dieser die Frauen geliebt hatte, wie er "scharf" auf Frauen war. Wie er, Gulda, die Frauen liebte und dass er das in seinen Aufführungen zeigen wolle.
Er beschimpfte den normalen Musikbetrieb und zeigte mir Plakate seiner Perfomances: Autos und Frauen waren darauf zu sehen. Er zeigte mir seine Keyboards, sein Tonstudio, in dem er seine Musik selbst nach eigenem Gusto abmischte. Gulda sprach über sich und über seine Visionen und über seine Arbeit. Für mich tat sich die ganze Weltsicht eines unermüdlichen Künstlers darin auf. Wie ich ihn so ansah und ihm zuhörte, kam mir seine fantastische Einspielung einiger Mozart-Konzerte mit Claudio Abbado ins Ohr. Heute noch denke ich an Dancing Girls, wenn ich diese Aufnahmen höre. Und an Friedrich Gulda, weißes Gewand, weißes Käppi, wenn ich an den Attersee komme.
Und was sagt mir das über Guldas Gehirn? Nun – vielleicht hatte er zwei davon.
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