Der Bratschist Nils Mönkemeyer schreibt einmal im Monat für br-klassik.de über sein Leben als Musiker oder alltägliche Erlebnisse, die ihn bewegen. Im November erklärt er, warum er sich angesichts der Flüchtlingskrise an seine Kindheit erinnert.
Bildquelle: Irène Zandel
Ich bin aufgewachsen in einem kleinen Ort in Norddeutschland. Freitags kam der Fischwagen, Samstag war "Autowaschtag", der Rasenstreifen vor dem Grundstück sollte bitteschön ordentlich gemäht sein. Die Männer begrüßten sich mit einem markigen "Mahlzeit" und am Abend gab es eine Runde Korn. Natürlich wurden meine später zugezogenen Eltern mit Misstrauen beäugt. Unser Vorgarten war wild und romantisch, das Essen war bio und meine kleine Schwester trugen sie im Tragetuch "wie bei die Zigeuners". Die Jazzmusik meines Vaters war nicht minder exotisch, und das Verhältnis wurde zusätzlich getrübt, als meine Eltern mir nicht erlaubten, beim Gänseschlachten zuzuschauen. Eines Nachmittags kam ein befreundeter Musikerkollege meines Vaters zum Proben zu uns nach Hause und brachte seine Frau Josianne und seine zwei Töchter mit. Ich freundete mich schnell mit den beiden Mädchen an, spielend rannten wir durch die Straße. Erst am nächsten Tag, als mir Annemarie T. von nebenan, bekleidet mit einer ihrer diversen geblümten Kittelschürzen, ein Graubrot mit Margarine und Zucker machte und von "den Negern" sprach, wurde mir bewusst, dass die Kinder eine dunklere Hautfarbe hatten als ich. Josianne kam aus Afrika.
Bildquelle: U21
In den letzten Wochen habe ich öfter wieder an diese Begegnung gedacht. Wie offen sind wir in den Begegnungen, die wir machen? Was sind das für Vorurteile, die wir einfach in den Raum stellen, ohne wirklich eine Begegnung zuzulassen? Über Facebook bin ich mit ca. 6000 Menschen verknüpft und je länger und je mehr ich lese, was andere zur aktuellen Situation denken, umso verwirrter bin ich. Da gibt es das "Mutti, das machst Du super"-Posting direkt neben einem Kommentar wie "Was die Merkel macht, ist so abartig, ich schäme mich für mein Land". Ich schäme mich nicht. Eigentlich im Gegenteil. Zum ersten Mal bin ich sogar stolz auf mein Land, wenn ich sehe, wie herzlich und mit wieviel Einsatz die Flüchtlinge aufgenommen und begrüßt werden. Ich hoffe, dass wir uns diese tolerante Haltung bewahren können, denn die eigentliche Herausforderung kommt ja erst noch. Bisher war meine Meinung immer, dass wir als Künstler nicht als politische Botschafter auftreten sollten. Auf der Bühne sprechen wir durch die Musik zu Menschen mit völlig unterschiedlichen Meinungen, Hintergründen und Schicksalen. Die Musik ist etwas, was uns vereint und Gemeinsamkeiten schafft. In dem Moment, in dem ich mich als Musiker zu einer politischen Ausrichtung bekenne (wie z. B. Gergiev oder Netrebko), wird meiner Meinung nach die Rolle des Vermittlers von Musik gestört, der Musiker verliert quasi seine Neutralität. Anders ist das mit einer Vermittlungsbemühung wie der von Barenboim, der keine Partei ergreift, sondern zu Menschlichkeit aufruft. Und vielleicht müssen wir alle mehr Bekenntnis zeigen. Wie Barenboim. Toleranz, Respekt, Neugier, Bescheidenheit, Freundlichkeit und friedliches Miteinander. Der Menschenrechtler und Idealist Ludwig van Beethoven hat es mal schön formuliert: "Wohl tun, wo man kann, Freiheit über alles lieben, Wahrheit auch sogar vorm Throne nicht verleugnen."
Diesen Text habe ich vor den Anschlägen auf Beirut und Paris geschrieben. Jetzt hat uns auf furchtbarste Art und Weise eingeholt, wovor die Menschen geflohen sind, und ich finde es dringlicher denn je, dass auch wir Musiker politisch Stellung beziehen.
Kommentare (5)
Samstag, 21.November, 00:36 Uhr
Karl Buchholz
Stolz sein?
Sehr geehrter Herr Mönkemeyer,
als Musiker kenne und verehre ich Sie schon lange. Für diese Ihre Kolummne und Frau Merkels Handeln in diesem Flüchtlingsdrama danke ich. Doch können wir auf dieses Land wirklich stolz sein? Lange Zeit dachte und glaubte ich, dass Fremdenfeindlichkeit und nationalistisches Gewaber eine Randerscheinung sein würde und das deutsche (?)Volk gelernt hätte. Doch dieses Denken und Glauben sind durch die Realität schwer erschüttert. Es ist mehr als traurig zu sehen, wie viele unserer Politiker aus Angst Mehrheiten zu verlieren (oder denken sie in ihrem tiefsten Inneren tatsächlich so?) christliches, soziales und menschliches Handeln vergessen. Bitte mehr Toleranz, Scheuklappen runter! Mir ist wohl bewusst, mit welchen sozio-kulturellen Hürden wir noch konfrontiert werden werden.
Bitte, liebe Mitmenschen, übt mehr Sachlichkeit statt Ängste zu schüren!
Freitag, 20.November, 23:39 Uhr
Robert Bräunig
Zum ersten Mal Stolz auf Land
Zwar bin ich weder Musiker oder weit in der Welt herumgekommen, noch bin ich ein Freund von Merkel und Ihrer Politik, doch diese Worte sprechen mir aus tiefster Seele und Herzen. Mit über 40 Jahren bin ich jetzt zum ersten Mal stolz auf mein Geburtsland - und verspüre gleichzeitig Angst vor denen, die gerade dabei sind dies wieder zu zerstören...
Mittwoch, 18.November, 00:00 Uhr
Silke
Bravo!
Ich freue mich über diesen Beitrag!
Dienstag, 17.November, 19:10 Uhr
L. Weber
Absolute Zustimmung
APPLAUS!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Dienstag, 17.November, 17:16 Uhr
Dorothea Braun-Ribbat
Kolumne Nils Mönkemeyer
Danke für diesen Beitrag -vielleicht ist es ein Aufruf an alle,die (in der Kindheit )gute Erfahrungen mit Fremdsein und Aufgenommenwerden gemacht haben und sich jetzt aktiv für Freiheit ,Toleranz mit Empathie einsetzen.