Als Verleger und Herausgeber der "Neuen Musikzeitung" blickt er gern kritisch hinter die Kulissen der Musikwelt: Theo Geißler. Auf br-klassik.de schreibt er regelmäßig für das Ressort Meinung. Diesmal macht er sich Gedanken über die beruflichen Perspektiven nach einem Musikstudium.
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Stellen Sie sich vor, Ihre Tochter, Ihr Sohn hat nach aufwändigem Musikunterricht, ersten Preisen beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ (ganz nett), einem Spitzenabitur (schafft tiefen Stolz) das Musikstudium als Sehnsuchtsausbildung erkoren: Sie schlagen erst mal die Hände über dem Kopf zusammen. Es packt Sie Verzweiflung. Sie kennen als zugegeben enthusiastischer Klassik-Fan die hohen Risiken dieses Berufsfeldes. Und Ihre Arztpraxis, Ihr Architekturbüro – selbst eine solide Position im Staatsdienst – böten doch so viel existenzielle Sicherheit, eine absehbar tadellos geordnete Lebensperspektive.
Doch Ihr Sprössling lässt sich trotz aller emotionaler und materieller Drohungen, trotz aller deshalb doch so rationaler Argumente nicht umstimmen, schafft die Aufnahmeprüfung der Musikhochschule seiner Wahl spielend. Und wird zunächst überwiegend von zumeist sehr gut qualifizierten Dozenten unterrichtet, die bestenfalls auf mittlerem Raumpfleger/Innen-Niveau ihr täglich Brot verdienen. Es sind nämlich sogenannte Lehrbeauftragte, die an unseren edlen musikalischen Künstlerschmieden über die Hälfte des Unterrichtsangebotes abliefern. Auf hohem professionellem Niveau, seit Jahrzehnten gnadenlos unterbezahlt schafft dieses akademische Proletariat das Ausbildungs-Fundament für spätere Spitzenstars, Orchestermusiker, Musikpädagogen – und Lehrbeauftragte. Letzteren bleibt als Lebensgrundlage oft nur eine Patchwork-Existenz. Zum Beispiel ein Zusatz-Mix aus Taxifahren und meist ebenso schlecht bezahltem Privatunterricht samt Konzertkurzkritik-Schreiben für die Regionalzeitung.
An vergleichbaren naturwissenschaftlichen Ausbildungsstätten läuft das anders. In Kauf genommen wird dort ein offensichtliches gesellschaftliches Krankheitsbild. Die angebliche Freiheit von Forschung und Lehre ordnet sich kühlem ökonomischen Denken dank üppig fließender Wirtschafts-Drittmittel unter. Schon Bachelor-Student/Innen lockt beispielsweise die IT-Branche in lukrative Teilzeitjobs, Lehrbeauftragte (und Professoren) werden mit firmenfinanzierten Forschungsaufträgen gepampert. Den meisten Geisteswissenschaftlern, dem künstlerischen Lehr-Personal bleibt in diesem Umfeld die Funktion des Geranienschmuckes am Bühnenrand von Deutscher Bank, Apple und Krauss-Maffei.
Zwar hat sich vor einigen Jahren eine "Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen" formiert ( http://www.bklm.org/ ), die eine mäßig interessierte Öffentlichkeit und entsprechend dürftig engagierte Politiker auf die vorhandenen Mißstände mit nachvollziehbaren Argumenten hinweist. Zwar setzen sich Institutionen wie der Deutsche Tonkünstlerverband oder der Deutsche Musikrat seit Jahren in offenen Briefen und mit Petitionen für eine angemessene Entlohnung dieses künstlerischen Prekariates ein – mit dem Erfolg, dass beispielsweise in München Anhebungen von ein paar auch noch steuer- und sozialabgabepflichtigen Euros pro Semesterwochenstunde nach dem "Gießkannenprinzip" gewährt wurden. Tja, selbst die Geranien an den Bühnenrändern der Finanz- und Industrie-Showplätze brauchen gelegentlich etwas Wasser.
Doch Schluss mit Gejammer auf dem gegebenen niedrigen Niveau. Die Konferenz der Musikhochschul-Rektoren will sich - hört man - künftig in Kooperation statt in Konfrontation mit der Konferenz der Lehrbeauftragten dem erkannten Problemfeld engagiert zuwenden. Nordrhein-Westfalen scheint schon eine angemessene Zwischenlösung gefunden zu haben. Und wenn sich die nördlicheren Lichter doch mal vernünftig präsentieren, werden die Bayern sich doch nicht lumpen lassen. Es lebe der Wettkampf der Föderalisten…
Theo Geißler ist ein deutscher Verleger, Zeitschriften-Herausgeber, Autor und Moderator des Live-Musikmagazin "taktlos" auf BR-KLASSIK. Nach einem Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte in Regensburg absolvierte er die Münchner Hochschule für Fernsehen und Film, war dann als Autor und Regisseur für Kinderprogramme des Bayerischen Fernsehens tätig.
Gemeinsam mit Olaf Zimmermann (Deutscher Kulturrat) gibt er die Buchreihe zur Zeitschrift "politik und kultur" heraus, sowie die "Beiträge zur Gregorianik". Geißler war von 2001 bis 2009 vom Auswärtigen Amt berufenes Mitglied des Deutsch-Französischen Kulturrates.