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Kritik: "7 Deaths of Maria Callas" von Marina Abramović Kopfüber ins Fegefeuer des Kitschs

"7 Deaths of Maria Callas" sollte schon im April an der Bayerischen Staatsoper in München uraufgeführt werden, dann kam die Corona-Pandemie. Nun startet die Staatsoper ihre neue Saison mit der Opern-Performance von Marina Abramović. Die Premierenkritik.

Bildquelle: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper

"The artist is present" heißt die berühmteste Arbeit der großen Performance-Künstlerin Marina Abramović. 2010 saß sie fast drei Monate lang jeden Tag im New Yorker Museum of Modern Art schweigend an einem Tisch. Die Besuchenden konnten sich zu ihr setzen und ihr in die Augen schauen. Künstlerin – Werk – Betrachter: Aus drei wurde eins. Das ist die Pointe der Performance Art, ihre Herausforderung an die traditionelle Kunst: Person und Rolle verschmelzen, es gibt keine Grenze zum Leben, alles ist körperlich, wirklich, greifbar. Bis zum realen Risiko: Scharfe Waffen und echtes Blut sind wichtige Requisiten bei Abramović.

"7 Deaths of Maria Callas" im Stream

BR-KLASSIK zeigt Marina Abramovićs Opern-Performance live im Stream auf br-klassik.de/concert am 5. September ab 19 Uhr.

Abramović wird zur Callas

Oper ist anders. Oper ist maximal unwirklich. Die Sänger spielen fiktive Rollen, die Bühne ist ein Traumland, getrennt von uns und vom wahren Leben durch einen unüberwindlichen Graben. The artist is absent: Die eigentlichen Schöpfer, die Komponisten, sind in der Regel lange tot.

Bildquelle: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper Und jetzt macht ausgerechnet die Performerin Abramović Oper. Das ist erstmal sehr reizvoll. Könnte eine Art Frischblut-Zufuhr sein für die Gattung. Hofft man. Das Thema ist gut, sehr gut: Schließlich war auch Maria Callas, die Jahrhundert-Diva, eine Künstlerin, die sich total verausgabte. Ihren Körper zum Instrument machte. An Grenzen ging – bis zur Selbstzerstörung. Marina und Maria – ein bisschen sehen sie sich sogar ähnlich.

Sieben Sterbeszenen, die prägend waren für das Bühnenschaffen von Maria Callas, werden aneinandergereiht. Live gesungen von sieben verschiedenen Sängerinnen, die statisch in der Bühnenmitte stehen, letztlich Statistinnen bleiben. Stark sind Hera Hyesang Park als Verdis Traviata und Adela Zaharia als Donizettis Lucia. Und Dirigent Yoel Gamzou gestaltet mit präzise umgesetzter Leidenschaft. Aber um Gesang geht es hier letztlich nicht, sondern um den Mythos einer Sängerin. Und um eine Performerin, die sie ins Leben zurückholen und mit ihr sterben will.

Hier sehen Sie die Bilder zur Uraufführung.

Drastische Opernszenen und kitschige Himmelsbilder

Also liegt die echte Marina Abramović gut eine Stunde lang totenstarr im Sterbebett der Callas auf der Bühne. Gleichzeitig sehen wir sie überlebensgroß in Projektionen, wie sie in eine Doppelrolle schlüpft: Abramović spielt die Callas, die sterbende Opernheldinnen spielt. Diese Filme setzen auf drastische Bilder: Otello erwürgt Desdemona in einer erotisch aufgeladenen Szene mit Pythonschlangen. Tosca springt ihren Todessprung in Zeitlupe von einem Hochhaus und landet auf einem Straßenkreuzer, dessen Fenster in tausend Kristalle zerspringen. Am besten gelingt die Sterbeszene von Lucia di Lammermoor: Abramović im Brautkleid zerstört in lustvollem Wahnsinn ein prächtiges Palastgemach. Hier zeigt sie ihre Bühnentier-Urbegabung, hier spürt man die charismatische Ausstrahlung einer außergewöhnlichen Persönlichkeit.

Bildquelle: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper Leider werden die Opernszenen durch geradezu überkitschige Himmelsbilder verbunden: Aufgewühlte Wolken im Sonnenuntergang, untermalt von unheilschwanger wummernden Elektroklängen. Den achten Tod stirbt die Callas selbst. Verlassen von allen Gefährten und Geliebten liegt sie depressiv im Bett ihrer Pariser Wohnung. Marina Abramović agiert nun live auf der Bühne, erhebt sich, läuft verstört durchs Zimmer und zertrümmert eine Vase. Das alles kommentiert von Abramovićs Stimme, die von Band aus dem Off kommt. Dazu hat der Komponist Marko Nikodijević suggestive Musik beigesteuert, die geschickt mit tonalen Wirkungen spielt. Ganz am Schluss hört man sie endlich selbst: Die Callas singt Casta diva, das Orchester begleitet die unsterbliche Aufnahme live mit leicht denaturierten Klängen. Abramović im Goldpailletten-Kleid steht an der Rampe, mit geschlossenem Mund und den Gesten einer Diva, fast ganz die Callas selbst – bis die Musik vor dem Schlusston abbricht.

Keine Kunstform zeigt ihre Stärke

Reizvoll an der Sache ist das Spiel mit den ineinander geschachtelten Rollen und das Nachdenken über die Grenzen von Oper und Performance. Immerhin: Langweilig war's nicht, schließlich gab's tolle Arien und satte Bilder. Aber ihre eigentlichen Stärken kann keine der beiden Kunstformen ausspielen. Der Operngesang ist letztlich Staffage, die Callas bleibt abwesend. Wirklich starke Präsenz kann auch die Performerin Abramović nicht entfalten, Kunst und Leben bleiben getrennt. Diesmal spielt sie nur. Die einzige Gefahr, in die sich Marina Abramović stürzt, das aber kopfüber und absolut furchtlos, ist das Fegefeuer des Kitsches. Keine Win-Win-Situation.

Sendung: Allegro am 2. September 2020 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK

7 Deaths of Maria Callas" zum Ansehen

Videoübertragung auf BR-KLASSIK CONCERT: Samstag, 5. September 2020 ab 18:30 Uhr