Der Sänger Andreas Scholl liebt das Unterrichten. Seine Kurse sieht er als Laboratorium, in dem weniger bewertet als gemeinsam nach Ergebnissen gesucht wird. Aber auch das funktioniert nicht immer, wie er im Interview mit BR-KLASSIK verrät.
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Das Interview zum Anhören
BR-KLASSIK: In Ihrem Blog schreiben Sie von einer Begebenheit bei einem Meisterkurs. Sie saßen im Publikum und erlebten eine Lehrerin, die zu einer jungen Sopranistin sagte: "Sie sind sehr hübsch, und ich bin sicher, ihr Freund sagt Ihnen, dass sie wunderschön singen. Ich hoffe nur, dass Ihr Freund viel Geld hat". Darauf angesprochen, schreiben Sie, verteidigte sich besagte Lehrerin mit den Worten: "Jemand muss ihnen ja die Wahrheit sagen". Sie sind selbst Lehrer. Gehen Sie auch so um mit ihren Schülern?
Andreas Scholl: Nein! Es ist auch keine Wahrheit, die diese berühmte Sängerin diesen jungen Sopranistinnen damals gesagt hat. Einige von ihren früheren Schülerinnen, die ähnliche Kommentare empfangen mussten, haben später Weltkarriere gemacht. So treffsicher war die Dame mit ihrer Voraussage dann auch nicht.
BR-KLASSIK: Verraten Sie uns, wer es war?
Eine harte Gesangslehrerin: die Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf | Bildquelle: picture-alliance/dpa Andreas Scholl: Das war Elisabeth Schwarzkopf. Den Meisterkurs, der ihr letzter war, gab sie bei der Schubertiade in Schwarzenberg. Man muss auch sagen: In der ersten Stunde dieses Kurses hat sie nur erzählt - das war unglaublich spannend und sehr weise. Es ist ja gar keine Frage, dass diese Frau eine Kapazität war auf ihrem Gebiet. Danach begann das Vorsingen, bei dem es an diesem Tag eigentlich nur darum ging zu entscheiden: Wer wird ab morgen mit mir Gesangsstunden haben, und wer sitzt im Publikum und darf zuhören. Sie hätte eigentlich auch ganz still nur Notizen machen und eine Liste aushängen können von den Leuten, die am nächsten Tag mitsingen dürfen. Aber sie konnte irgendwie nicht widerstehen, diese Meinung kund zu tun. Es kam auch keiner weiter als vier, fünf Takte, bevor sie das Vorsingen unterbrach. Interessanterweise gab es eine Sopranistin, die in diesem Moment nicht schüchtern war, sondern mutig - und nachdem sie zum dritten Mal unterbrochen und kritisiert wurde, sagte sie: "Wie meinen Sie das denn? Können Sie mir das erklären?" Interessanterweise entstand aus dieser Herausforderung an die Lehrerin ein ganz interessanter Dialog.
Feedback ist sehr vielfältig.
BR-KLASSIK: Aber das muss man erst mal mitbringen: So viel Selbstbewusstsein in einem Fach, in dem man ständig Kritik erhält und wo man auch weiß: Man muss gut sein und Leistung bringen, um weiterzukommen. Ich stelle mir vor, dass das gar nicht so einfach ist.
Andreas Scholl: Feedback ist ja sehr vielfältig. Meine Aufgabe ist primär dafür zu sorgen, dass am Ende die Leute, die bei mir diesen Kurs absolvieren, neue Ideen haben. Ich weiß nicht, ob sie dann besser singen - aber hoffentlich gewinnen sie im Rahmen dieses Kurses neue Ideen, erleben Dinge mit sich selbst und produzieren Töne, die sie so noch nicht produziert haben. Eigentlich sehe ich die Gesangsstunden als ein Laboratorium - und da beginnt das Raten und das Suchen.
BR-KLASSIK: Also ist Ihr Unterricht weniger ein Bewerten und Beurteilen als vielmehr ein Herausholen, ein Ermutigen - vielleicht, wie Sie sagen, ein Suchen?
Andreas Scholl: Genau! Letztes Jahr zum Beispiel wurde ich eingeladen, in Frankreich einen Kurs zu geben. Es war ein fantastischer Kurs - ich habe mit den Leuten wunderbar gearbeitet. Aber ich habe niemandem meine Meinung über seine Stimme auf die Nase gebunden.
Es ist nie auszuschließen, dass sich ein Sänger bei einem anderen Lehrer besser entwickelt.
BR-KLASSIK: Was machen Sie, wenn Sie einen Schüler haben, bei dem Sie irgendwann merken: Der hat zwar die Aufnahmeprüfung geschafft, aber ich sehe nicht, dass er Karriere macht?
Andreas Scholl | Bildquelle: Decca / James MacMillan Andreas Scholl: Diese Meinung hat auch keine Sicherheit eingebaut. Eine gute Kollegin von mir sagte mal, sie habe sich einmal so vertan, dass sie seitdem ganz vorsichtig sei. Sie hat das auch der Studentin vorsichtig erklärt - die ging dann woanders hin. Genau das war die Lösung des Problems. Diese Studentin hat sie Jahre später gehört und gedacht: Das darf ja nicht sein - die singt schön. Sich selbst sagte sie dann: Jetzt bin ich in Zukunft mal ganz vorsichtig mit meiner Meinung. Es ist natürlich nie auszuschließen, dass ein Sänger sich bei einem anderen Lehrer besser entwickelt.
BR-KLASSIK: Also sollte man nicht die Tür komplett zumachen und sagen: Es tut mir leid, da wird nichts draus? Sondern lieber sagen: Mit uns geht es nicht weiter?
Andreas Scholl: Man muss da vorsichtig sein. Ich persönlich sehe mich selbst auch als viel zu nett und freundlich meinen Studenten gegenüber. Ich habe zum Beispiel schreckliche Momente bei einem Vorsingen eines Studenten von mir erlebt, der sich mehr oder weniger aufgedrängt hat. Da sang jemand vor, der wirklich keinen Ton herausbrachte. Ich dachte: Sind wir hier bei der versteckten Kamera oder spielt mir da jemand einen Streich? Ich habe dann eisern eine Stunde mit dieser Person gearbeitet. Danach sagte ich ihm, dass es hier in Basel sicher nichts mit einem Studienplatz werde. Aber er solle zur Freude singen und Gesangsstunden nehmen - das könne sich nebenbei weiterentwickeln. Er schrieb mir dann aber die Woche drauf, es hätte ihn so glücklich gemacht zu hören, wie toll ich ihn fand. Da habe ich gemerkt, dass ich scheinbar nicht deutlich genug war.
BR-KLASSIK: Aber eigentlich unterrichten Sie gerne. Macht es Ihnen Spaß?
Andreas Scholl: Natürlich! Ich unterrichte eigentlich nur, weil es mir Spaß macht. Finanziell kann ich wie mit Konzerten weitaus mehr Geld verdienen als mit Kursen. Aber das Unterrichten ist unglaublich spannend.
Sendung: "Leporello" am 22. Januar 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK.
Das Interview wurde von der Redaktion an die Schriftsprache angepasst.
Workshop mit Andreas Scholl
24. Januar 2018, 14:00 Uhr
Das Abschlusskonzert zu diesem Kurs findet am Freitag, den 26. Januar 2018 im Rahmen der Reihe "Musik publik" im Saal B U 08 (Gebäude Bibrastraße) statt.