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Reportage ARD-Musikwettbewerb 2017 - Klavier Junge Pianisten mit starker Persönlichkeit

Drei Pianisten, zwei Werke, drei grundverschiedene Interpretationsansätze. Nichtsdestoweniger konnte es nur einen Ersten Preis geben - und nicht jeder der Finalisten war mit dem Urteil der Jury zufrieden. Konrad Bott berichtet.

Bildquelle: BR/Daniel Delang

Zum Anhören: ARD-Musikwettbewerb 2017 - Finale Klavier

Ein Beitrag von Konrad Bott

Drei Stuhlreihen haben sie im Herkulessaal abmontiert, um der Jury Platz zu schaffen. Wie viele Menschen in diesen Raum trotzdem passen, fällt mir erst auf, als ich in der Pause vor eine der hohen Türen ins Foyer trete. Menschen über Menschen. Von allen Seiten purzeln einem die Wörter "Asiate", "Teilnehmer", "Tschaikowsky" und "Jury" entgegen. Ich merke schon jetzt: Das wird keine leichte Entscheidung! Gedankenverloren starre ich auf die Sandwiches, die im Glaskasten des Caterings liegen. Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 im Programm zwischen zwei Aufführungen des Ersten Tschaikowsky-Konzerts wirkt auf mich wie der Lachs zwischen Toastscheiben. Wataru Hisasue, Fabian Müller und JeungBeum Sohn treten an, um mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks spielen zu dürfen und nebenbei auch den einen oder anderen Preis zu gewinnen. Allein ins Finale gekommen zu sein, sei schon ein riesiges Glück, versichern sie alle drei.

Der Unbekannte

Der Pianist JeungBeum Sohn aus Südkorea. | Bildquelle: BR/Daniel Delang JeungBeum Sohn | Bildquelle: BR/Daniel Delang Alle drei jungen Männer sind völlig verdient ins Finale eingezogen, aber selten habe ich derart unterschiedliche Solisten in einem Konzert gesehen. JeungBeum Sohn hatte ich nicht wirklich auf dem Schirm. So ist das eben bei 34 Kandidaten in der ersten Runde: Man sucht sich seine eigenen Hoffnungsträger und lässt dabei den einen oder anderen tatsächlich außer Acht. Der 26-jährige JeungBeum aus Südkorea war mir bis jetzt entgangen. Er hat Kraft und Esprit. In bessere Hände kann das vollblütige Tschaikowsky-Konzert nicht gelegt werden. Selbst im Pianissimo ist ein Druck zu spüren, der erstaunt. Diagnose: Erster Preis. Als genau dieses Urteil verkündet ist, tritt er benommen die Stufen von der Bühne herunter. "Ich schwebe über den Wolken, bin mega-glücklich! Aber ich denke auch, dass ich ab jetzt mit einer enormen Verantwortung umgehen muss. Der erste Preis beim ARD-Wettbewerb ist auf jeden Fall ein Riesentitel!" Noch wenige Minuten zuvor hatte er sich darauf eingestellt, überhaupt keinen Preis zu erhalten. "Selbst in den zwei Proben davor lief es besser. Ich bin froh, dass es vorbei ist", hatte er gesagt und die Schultern hängen lassen.

Der Perfektionist, der keiner sein wollte

Wataru Hisasue am Klavier aus Japan. | Bildquelle: BR/Daniel Delang Wataru Hisasue | Bildquelle: BR/Daniel Delang Wataru Hisasue, ein schmächtiger Japaner, der seit 2013 in Freiburg studiert, spricht ein sehr gutes Deutsch. Seine Sätze sind klar und deutlich. "Ich erwarte nichts Bestimmtes", sagte er mir, als ich ihn nach seiner Sicht aufs Finale fragte. "Ich werde das zeitgenössische Stück auswendig spielen". Nach allem, was bis dahin gehört hatte, war das ein unmögliches Unterfangen - purer Wahnsinn. Ein Blick in die Noten hatte diesen Eindruck bestärkt. Trotzdem hat er es getan. Mit der selben unbeirrbaren Sicherheit, die er auch jetzt an den Tag legt - und mit durchschlagendem Erfolg. Greift Wataru in die Tasten, tut er das mit einer unaufdringlichen Perfektion. Keine seiner Bewegungen wirkt affektiert oder überflüssig. Alles folgt einer ökonomischen Fingertechnik. Trotzdem ist er weit vom Klischee-Perfektionisten entfernt. "Wandern zu gehen, Menschen kennen zu lernen, ein Buch zu lesen - all das ist manchmal wichtiger als bloßes Üben von Noten", waren seine Worte. Diese Bereitschaft zur Kommunikation ist auch im Herkulessaal zu spüren: Irgendwie schafft Wataru es, Tschaikowskys b-Moll-Feuerwerk auf eine charmante kammermusikalische Art zu präsentieren. Manchmal allerdings muss ich nach dem Klavier im Orchesterklang suchen und merke dann erst, was fehlt. Am Ende heißt es: Dritter Preis - und der Preis für die beste Interpretation von Pascal Dusapins Auftragswerk. Wataru Hisasue ist enttäuscht.

Der Kunstschaffende

Fabian Müller am Klavier. | Bildquelle: BR/Daniel Delang Fabian Müller | Bildquelle: BR/Daniel Delang Von Enttäuschung kann bei Fabian Müller nicht die Rede sein. Selbst wenn er nicht spricht, strahlt er eine gelassene, rheinische Gutmütigkeit aus. Auf den Flügel im Übezimmer gestützt, hatte er vieles von sich preisgegeben. "Ich weiß jetzt noch gar nicht, ob ich hier am richtigen Platz bin, im Finale mit dem großen Konzert und alle ziehen sich schön an und … ach … das ist nicht der Grund, weshalb ich diesen Beruf mache. Am liebsten würde ich mich zu Hause hinsetzen und mit jemandem die 'Winterreise' einstudieren." Brahms, Beethoven und Schubert, da fühlt er sich wohl. Erdige Klänge, authentische Melancholie. Heute auf der Bühne ist er Künstler und Handwerker gleichermaßen - der ganze Arbeitsprozess wird spürbar. Fabian macht sich, wie es so schön heißt, nackt. Er entblößt seine Vorstellungen und Ideen in Bezug auf das Stück. Er bastelt und modelliert am Klang von Beethovens c-Moll-Konzert vor den Augen und in den Ohren des Publikums. Sein Wunsch an diesem Abend: Musik teilen zu können. "Wenn ein gemeinsamer Moment mit dem Publikum entsteht und in diesem Moment der Wettbewerb keine Rolle mehr spielt, dann ist das ein Fest. Dann würde ich dafür bezahlen, das machen zu dürfen." Warum er neben dem Zweiten auch den Publikumspreis mit nach Hause nimmt, ist nicht schwer zu erklären.

Das Ergebnis

Von 60 zugelassenen Bewerbern sind also 34 zum Wettbewerb erschienen. Krankheit und wohl auch die anspruchsvolle Auftragskomposition von Pascal Dusapin sind für viele der kurzfristigen Absprünge verantwortlich. Am Ende stehen drei junge Musiker. Die Jurysitzung dauert lange und als sich die Juroren wieder blicken lassen, merke ich, dass einige von ihnen nicht so recht glücklich scheinen. Die Entscheidung war allerdings auch eine schwere Geburt, inklusive deutlicher Meinungsunterschiede. Jurorin Tamara Stefanovic bleibt jedoch diplomatisch: "Es waren drei ganz verschiedene Persönlichkeiten, und das finde ich schön. Wir haben den Tschaikowsky in zwei völlig unterschiedlichen Interpretationen gehört, und deswegen gab es auch verschiedene Stimmen in der Jury."

Sendung: "Piazza" am 09. September 2017, 08.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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