In Halberstadt (Sachsen-Anhalt) läuft das langsamste Musikstück der Welt: "As slow as possible" ist das Stück von John Cage überschrieben, jeder neue Akkord wird als Event gefeiert. Nun steht wieder ein Klangwechsel an.
Bildquelle: John-Cage-Orgel-Kunst-Projekt Halberstadt
Adagio? Langsam. Allegro? Schnell. "As slow as possible", so langsam wie möglich? Das ist eine vergleichsweise schwer umzusetzende Spielanweisung – zumindest für Menschen. Die Uraufführung der achtseitigen Partitur von John Cages ORGAN²/ASLSP mit genau dieser Anweisung dauerte knapp dreißig Minuten. In Halberstadt in Sachsen-Anhalt läuft eine Aufführung des Orgelwerkes aber schon seit 19 Jahren. Und sie soll noch sehr viel länger dauern: insgesamt 639 Jahre nämlich, also bis zum Jahr 2640. Eine automatische Orgel macht es möglich.
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John Cage "as slow as possible"
Ausschnitt aus der Originalpartitur von "ORGAN²/ASLSP" | Bildquelle: John-Cage-Orgel-Kunst-Projekt Halberstadt Besucht man die Halberstädter Buchardi-Kirche hört man also meist gehaltene Orgeltöne, der aktuelle Klang tönt seit sieben Jahren. Nun steht der 14. Klangwechsel an: Am 5. September 2020, dem 108. Geburtstag von John Cage, kommen zu den bisherigen fünf Pfeifen c'(16'), des'(16'), dis', ais' und e'' zwei neue Pfeifen, nämlich gis und e' dazu. Dann werden die Sopranistin Johanna Vargas und der Komponist Julian Lembke, beide Träger des John-Cage-Preises, die neuen Pfeifen einsetzen. Dann werde es in der Buchardi-Kirche noch "voller klingen", verspricht Rainer O. Neugebauer, der Kuratoriumsvorsitzende der John-Cage-Orgel-Stiftung.
Die seltenen Tonwechsel sind jedes Mal ein Event. Beim letzten Mal vor sieben Jahren kamen rund 1.500 Menschen nach Halberstadt. Wegen der Corona-Pandemie können diesmal nur zweihundert Personen in die Kirche, alle übrigen Schau- und Hörlustigen können den Klangwechsel von draußen per Videoübertragung verfolgen.
Die Tondauern wurden für diese Aufführung auf Basis der Original-Partitur von John Cage berechnet, ausgelegt auf 639 Jahre – so viel Zeit war zum Jahr 2000 vergangen, seit 1361 im Halberstädter Dom die wohl erste Großorgel mit einer zwölftönigen Klaviatur fertiggestellt worden war. Die Berechnungen erfolgten laut Neugebauer bisher aber nur für die ersten 71 Jahre, für den ersten von acht Teilen von ORGAN²/ASLSP. "Spätestens kurz vor dem Klangwechsel am 5. September 2072 müssen sich die Verantwortlichen dann Gedanken machen, wie es weitergeht", sagt Neugebauer. Es könnten die Teile zwei bis acht in jeder beliebigen Reihenfolge kommen, andernfalls könne der Teil eins wiederholt werden.
Es ist ein Projekt der Hoffnung.
Die Halberstädtewr Buchardi-Kirche beherbergt das Projekt. | Bildquelle: picture-alliance/ZB-Fotoreport Ein Langzeitprojekt wie ORGAN²/ASLSP kostet auch über eine lange Zeit Geld. In den vergangenen zwanzig Jahren wurde fast eine Million Euro über Spenden und Eigenmittel für das ehrenamtliche Projekt eingeworben und aufgebracht. Das Spendenaufkommen ist aber rückläufig. "Wir müssen uns jetzt ernsthaft Gedanken machen, wie es weitergeht", sagt Neugebauer. Nötig seien 150 000 Euro pro Jahr, um die Kirche und das danebenstehende Cage-Haus für Veranstaltungen zu betreiben. Aktuell kämen nur knapp 50 000 Euro zusammen.
Neugebauer meint: "Es ist ein Projekt der Hoffnung. Wenn das Projekt bis zum Ende am 4. September im Jahr 2640 durchhält, dann hat diese kleine Kirche in Halberstadt noch nie so lange Frieden erlebt." Zunächst steht aber der nächste Tonwechsel am 5. Februar 2022 an. Dann muss das gis wieder gehen.
Sendung: Leporello am 4. September 2020 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK.
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