Ludwig van Beethoven hat nur ein einziges Violinkonzert geschrieben. Doch jede Interpretation dieses Werkes klingt völlig anders. Ob traditionell klassisch, romantisch angehaucht oder brennend leidenschaftlich - Musikredakteur Laszlo Molnar hat für BR-KLASSIK Aufnahmen großer Geiger unter die Lupe genommen.
Bildquelle: Fotos dpa / Montage BR
Beethovens Violinkonzert, uraufgeführt 1806, war völlig neuartig für seine Zeit. Es hat einen Umfang, wie noch kein Violinkonzert davor. Anfangs verurteilten die Kritiker das Werk. Seinen verdienten Durchbruch erlebte es, nachdem Joseph Joachim es als Dreizehnjähriger 1844 unter der Leitung von Felix Mendelssohn in London gespielt hatte. Seither hat es seinen festen Platz im Konzertrepertoire. An Einspielungen sind derzeit etwa sechzig verfügbar - hier eine Auswahl derer, die mir besonders markant erscheinen.
Die früheste Aufnahme ist uns aus dem Jahr 1924 erhalten und stammt von Fritz Kreisler. Zwölf Jahre später hatte Kreisler seine Haltung zum Beethoven-Konzert überdacht. In der neuen Aufnahme mit dem London Philharmonic Orchestra und John Barbirolli präsentierte er es geradliniger, fast ohne Ritardandi, ohne geigerische Selbstverliebtheit, schnörkellos und vorwärtsdrängend. Was wir allerdings auch hören, ist ein recht entspannter Umgang mit der Intonation. Vielleicht wollten Musiker jener Zeit gar nicht die Perfektion, die wir heute gewohnt sind.
Bald darauf nahm einer der anderen legendären Geigenvirtuosen des 20. Jahrhunderts das Beethoven-Konzert auf: Jascha Heifetz. Das Spiel von Jascha Heifetz finde ich ebenso vorbildlich und maßstabsetzend wie das seines älteren Kollegen Fritz Kreisler. Die Einbrüche in der Intonation natürlich ausgenommen. Eine ähnlich geradlinige, schnörkellose Spielhaltung werden Sie auch bei anderen Größen der Zeit finden, bei Bronislav Huberman zum Beispiel, oder bei der viel zu früh bei einem Flugzeugabsturz verstorbenen Ginette Neveu.
Machen wir hier einen Sprung in das Jahr 1965. Da war man schon ein großes Stück weiter. Weiter in dem Sinn, dass es nicht mehr alleine darum ging, den Notentext mit Können, Wissen und Geschmack zum Klingen zu bringen. Man wollte interpretieren, also: auslegen. Was könnte hinter den geschriebenen Noten noch stehen? Das Bild von Beethoven als Titan machte die Runde. Das Bild eines Komponisten, der mit jedem Ton um seine Bedeutung ringt, der in jedem Takt eine Botschaft zu verkünden hat. Die Vision von Revolution und Freiheit in der dritten Symphonie, das pochende Schicksal in der fünften. Auch im Violinkonzert pocht es, und zwar gleich zu Beginn. Da lag es doch nahe, den ganzen Satz als ein Spiegelbild des vom Schicksal gezeichneten Komponisten zu begreifen. Und dafür entschieden sich 1965 Isaac Stern und das New York Philharmonic Orchestra unter dem noch jungen Daniel Barenboim. Stern war 45, Barenboim gerade 23 Jahre alt. Man war sich einig: Beethoven muss "bigger" sein.
Mit der zunehmenden Reisetätigkeit der Künstler entwickelte sich ein internationaler Geschmack, ein Mainstream der Interpretation. Er prägte auch das Auftreten von Beethovens Violinkonzert. Mehr Emotion, mehr Deutung. Das wurde über den ständig wachsenden Schallplattenmarkt überall verbreitet. Aber auch im Fluss des Mainstreams gab und gibt es die anderen Meinungen.
Eines der Wunderkinder der Geigenszene in den 70er-Jahren war Anne-Sophie Mutter. Bei ihrer ersten Aufnahme des Beethovenkonzertes, die im Jahr 1980 erschien, mit den Berliner Philharmonikern unter Mutters Entdecker und Mentor Herbert von Karajan, war die Geigerin sechzehn Jahre alt. Ihre Einspielung des Larghettos ist eine der langsamsten überhaupt. Karajan setzte voll auf Pathos und Mystifizierung. Zweiundzwanzig Jahre später, 2002, spielte Anne-Sophie Mutter das Beethoven-Konzert nochmals ein. Die gereifte Musikerin tat sich mit dem New York Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Kurt Masur zusammen. Wieder ist das Tempo langsam, nur einen ganz kleinenTick schneller als bei Karajan. Zu hören ist eine vorsichtigere, nachdenklichere Künstlerin. Mutter ist eine durch und durch emotionale Geigerin. Sicher war es ihr persönliches Schicksal, das sie gerade in diesem langsamen Satz so zerbrechliche, zugleich sehnsuchtsvolle Töne anschlagen ließ.
Gidon Kremer geht in seiner Aufnahme mit der Academy of St. Martin in the Fields mit nicht weniger Ernst zur Sache. Aber um wie vieles leichter, quasi dem Himmel näher wirkt seine Darbietung, wie viel tiefer in die Musiksubstanz aus Artikulation, Tongebung und Phrasierung dringt er ein. Kremer ist bedingungslos virtuos. Sein Können stellt er ganz in den Dienst von Beethovens wundervollem Bewegungsdrang, heißblütig spielend und präzis kalkulierend. Das Orchester ist in der Größe ideal besetzt und ausbalanciert. Unter Leitung seines Chefs, dem ehemaligen Geiger Neville Marriner, hält es ohne Mühe mit. Diese Einspielung aus dem Jahr 1980 ist einer meiner Favoriten.
Kremer arbeitete mit einem Kammerorchester zusammen. Es dürfte eine ähnliche Größe gehabt haben wie Beethovens Orchester der Uraufführung. Auch Kremer kultiviert hier einen ganz feinen Ton, hält ihn aber deutlich mehr unter Spannung. Wie die Originalklang-Künstler interessiert sich auch Kremer für die klanglichen Möglichkeiten, welche die Geige in den verschiedenen Lagen zu bieten hat.
Die Liste der Interpreten von Beethovens Konzerts ist durchgehend ein "Who's Who" der Geigenkunst. Der Vergleich der Interpretationen setzt deshalb auf einem künstlerischen Niveau an, das gerade Spezialisten der Barockgeige für diese Art der Musik meistens noch nicht bieten können. Die aktuelle Ausnahme ist Isabelle Faust. Sie kommt jedoch aus zwei Welten. Bevor sie die historische Aufführungspraxis für sich entdeckte, war sie bereits vollendete Virtuosin. Für ihre Aufnahme des Beethovens-Konzerts hat sie sich unter die Fittiche des Dirigenten Claudio Abbado begeben. Nicht gerade ein Experte der historischen Aufführungspraxis: Roger Norrington wäre der interessantere Partner gewesen. Gerade den dritten Satz spielt Faust so klar und zugleich so verwegen und hingebungsvoll wie kaum ein anderer in neuerer Zeit. Für mich ist dies eine der faszinierendsten Aufnahmen.
Von den Heißspornen unter den Interpreten möchte ich noch die Darbietungen zweier Künstler vorstellen, die sich einen Namen auch als junge Wilde des Geigenspiels gemacht haben: Nigel Kennedy und den sich als Popstar der Geige stilisierenden David Garrett. Der wirkliche Könner von beiden ist Kennedy. Bei Garrett hingegen - dem unermüdlich als Stargeiger bejubelten - löst das Spiel nicht im Entferntesten ein, was die Pose verspricht. Im Beethovenkonzert ist er nicht verwegen, nicht draufgängerisch, nicht das maskuline Biest seiner PR-Bilder. Nigel Kennedy hingegen, der das Konzert im Jahr 2007 mit dem Polish Chamber Orchestra aufgenommen hat, hat die Energie und den musikalischen Mut, wie sie auch Jasha Heifetz, Gidon Kremer oder Isabelle Faust an den Tag legen. Eine Einspielung mit dem Zeug zum Favoriten - hätte er nur nicht das Larghetto derart zerdehnt wie niemand sonst. Der dritte Satz aber, er sprüht unter Kennedys Händen vor Temperament und Lebendigkeit. Das Orchester ist ebenso energisch bei der Sache.
Jede der Interpretationen, egal mit welchem Schwerpunkt, ist skrupulös durchdacht und erarbeitet. Das zeigt sich daran, dass jede, ob sie mir nun gut gefallen hat oder weniger, in ihrer Konzeption nachvollziehbar ist. Die Motive liegen bei jeder Interpretation offen dar. Wie man sie beurteilt, ist jeden Hörers eigene Sache. Ich bin der Meinung, dass man diesem Werk - wie immer bei Beethoven - mit Wissen besser gerecht wird als mit Fühlen. Wissen, sei es aus Tradition wie bei Kreisler, Heifetz oder Grumiaux, sei es aus Lernen, wie bei Kremer, Faust, Zehetmair oder Batiashvili. Sich alleine auf eine Manier oder die eigene Befindlichkeit zu berufen, wie Stern oder Mutter, das genügt aus meiner Sicht nicht.
Die Interpretation von Gidon Kremer mit der Academy of St. Martin in the Fields unter Neville Marriner ist für mich die stärkste, intelligenteste Synthese aus allen Möglichkeiten. Kenntnisreich, vorurteilsfrei und leidenschaftlich hat sich Kremer für einen Weg entschieden, der die technischen Herausforderungen zum Strahlen bringt. Er demonstriert emotionale Überzeugtheit, ohne je sentimental oder selbstgefällig zu werden. Ich finde, in Kremers Interpretation bekommt man alles zu hören, was dieses Meisterwerk der Konzertliteratur zu bieten hat.
Dienstag, 29. November 2016 um 20.03 Uhr auf BR-KLASSIK
Ludwig van Beethoven: Violinkonzert D-Dur, op. 61
In der kompletten Sendung von Laszlo Molnar wurden diverse Aufnahmen von Fritz Kreisler, Yehudi Menuhin, Arthur Grumiaux, Anne-Sophie Mutter, Gidon Kremer, Isabelle Faust und anderen vorgestellt. Sie können Sie hier nachhören.
Kommentare (6)
Sonntag, 04.Dezember, 22:48 Uhr
Hartmut Hohla
Beethovens Violinkonzert
wurde am 23. Dezember 1806 aufgeführt, daher das Thema, das nach meinem Empfinden gewisse Ähnlichkeiten mit "alle Jahre wieder" aufweist.
Mir gefällt die Aufnahme mit Janine Jansen sehr gut.
Sonntag, 04.Dezember, 21:41 Uhr
René Grosheintz-Laval
Beethovens Violinkonzert
Für mich ist Salvatore Accardo, Gewandhaus, Kurt Mazur absolut eine top Aufnahme!
Sonntag, 04.Dezember, 18:02 Uhr
Freitag Karin
Meine Meinung zu Wissen extra - Beethovens Violink
Ach, was ist denn das für ein tendenziöser Quatsch! Ich mochte bisher BR Klassik , nur was wird hier daher gedeutelt? Vergessen ist der wunderbare Perlman! Und generell die jungen Leute - Kennedy wird genannt! Er ist unterdessen 60 Jahre und wohl eher ein Alter Verwildeter! Und Garrett wird hier höchst unqualifiziert abgetan, andere gar nicht erwähnt! Es ist einfach eine oberflächliche rechthaberische Beschäftigung mit Beethoven, der so bestimmt nicht verstanden sein wollte! Schade, BR Klassik hatte auch schon mal bessere Zeiten!
Sonntag, 04.Dezember, 15:29 Uhr
Susi G
Vergleich
Einer fehlt hier leider. ...David Garrett. ....CD Legacy
Freitag, 02.Dezember, 10:56 Uhr
Alberts
Beethoven op. 61
Mein Favorit ist Frank Peter Zimmerman. Unglaublich intensiver Ton.
Mittwoch, 30.November, 11:42 Uhr
Thomas Wöhler
Beethovens Violinkonzert
Vielen Dank für diese Super-Sendung! Ich wünschte mir mehr von solchen sehr informativen Beiträgen.
Ihre Meinung über Oistrach's, Schneiderhan's oder Szeryng's Interpretationen habe ich vermisst, das hätte mich sehr interessiert. Und sehr froh bin ich, dass Sie David Garrett 'abgemeldet' haben...