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Kritik – "Don Quichotte" in Bregenz Supermann rasiert sich nass

Welcher Mann ist der richtige, fragt Regisseurin Mariam Clément und konfrontiert den Ritter von der traurigen Gestalt mit dem Geschlechterkrieg von heute. So wird aus Don Quichotte ein Superheld in Bad, Ghetto und Büro - eine überzeugende Deutung.

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Verdutzte Gesichter im Bregenzer Festspielhaus, ging der Abend doch tatsächlich mit einem Werbespot für Rasierklingen los. Klar, mag der eine oder die andere jetzt vielleicht sagen: Don Quichotte hat ja immer eine Rasierschüssel auf dem Kopf, das passt doch wunderbar zusammen. Tatsächlich ging es Regisseurin Mariame Clément aber wohl eher um Männerbilder und die "Metoo"-Debatte, denn die Werbung, die hier zu sehen war, hatte im Januar weltweit für große Aufregung gesorgt. Der auch hierzulande sehr bekannte amerikanische Klingen-Hersteller führte nämlich falsches und richtiges Verhalten gegenüber Frauen vor, zeigte ungezogene und hilfsbereite Kerle, übergriffige Machos und mutige Beschützer im direkten Vergleich - das nervte insbesondere konservative Gemüter und bescherte auf Youtube Millionen Zugriffe.

Die komplette Premiere können Sie hier anhören.

Don Quichotte, dieser verträumte Narr, ist in der selten gespielten Oper von Jules Massenet selbstverständlich der idealistische Edelstein in einer ziemlich verdorbenen, eigennützigen Welt, und, wie sich bald herausstellt, leidenschaftlicher Nass-Rasierer. Nebenbei kämpft er gegen den Ventilator im Badezimmer und eine gewaltbereite Jugendgang, beschafft seiner geliebten Dulcinée ihre Perlenkette wieder, will sie heiraten und stirbt dann doch lieber sehr pittoresk auf einer altmodischen Bühne, die in diesem Fall wohl auch für altmodische Werte steht, nämlich Rücksichtnahme, Zuversicht, Hilfsbereitschaft und Respekt.

Die Inszenierung in Bildern

Poetisch, zart, voller Weltschmerz

Mit großem Aufwand zeigen Mariame Clément und ihre Ausstatterin Julia Hansen diese Lebensstationen des Don Quichotte, wechselt von einem Bilderbuch-Spanien in die Moderne und wieder zurück, was längere Umbaupausen erfordert und den Abend auf knapp drei Stunden zieht. Aber Schnelligkeit ist bei Jules Massenet sowieso nicht am Platz, gilt er doch als Aquarellmaler unter den Komponisten. Wie hingetupft wirken seine Partituren, auch den "Don Quichotte", ein Spätwerk von 1910, finden nicht wenige fad bis zur Langeweile - dabei ist er ungemein poetisch, zart, voller Weltschmerz und Trauer.

Don Quichotte hat doch was erreicht

All das wird in der Bregenzer Inszenierung ergreifend deutlich: Das Leben muss sich zwischen ersehnten Heldentaten und aufreibendem Büroalltag einrichten. Mit herrlich feiner Ironie bringt das Mariam Clément auf die Bühne und fragt: Kann das wirklich sein, dass ausgerechnet dieser fahrende Ritter aus dem 16. Jahrhundert moderner und anständiger ist als die Vorbilder von heute? Dulcinée, die hier als Abteilungsleiterin im Chefbüro residiert und sich ihre dämlichen Verehrer so gut es geht vom Leib hält, wird da am Ende weich, hängt ihre Führungskräfte-Fassade an den Nagel und türmt in eine andere, hoffentlich bessere Welt. Don Quichotte hat also doch was erreicht.

Die Noten wirken wie hingehaucht

Dirigent Daniel Cohen hatte genau das richtige Fingerspitzengefühl, um Massenets Partitur berührend zu gestalten. Fingerspitzengefühl ist hier tatsächlich der passende Ausdruck, denn diese Noten vertragen weder die Faust, noch andere energische Gesten. Wie hingehaucht klingen sie, wehen vorbei, tänzeln und hüpfen. Massenet musste damit leben, als Tonsetzer für Frauen abgestempelt zu werden, als musikalischer Parfümeur zu gelten. Umso erstaunlicher, dass die Wiener Symphoniker, die einen Tag zuvor auf der Seebühne noch Verdis "Rigoletto" gespielt hatten, derart überzeugend auf das deutlich feinsinnigere französische Fach umschalteten.

Der ungarische Bassbariton Gábor Bretz war ein völlig untypischer Don Quichotte, eher athletisch als schlaksig und sang sehnsuchtsvoll und mit viel Traurigkeit in der Stimme. Deshalb war er als hoffnungsloser Liebhaber überzeugender denn als Bekämpfer der Windmühlen. Der Brite David Stout als Sancho Pansa hatte alle Sympathien auf seiner Seite - als dicklicher, unscheinbarer Büro-Angestellter wie als romantischer Eseltreiber und tollpatschiger Elvis-Imitator. Die russische Mezzosopranistin Anna Goryachova mit ihrer unergründlichen Tiefe und ihrem sehr erdigen Legato, also dem vergleichsweise behäbigen Umsteigen von einem Ton zum nächsten, gab der Dulcinée fast das Format einer antiken Heldin. Gravitätisch statt verspielt, ehrwürdig statt oberflächlich, fest entschlossen, die Sache ernst zu nehmen. Und das ist bei der berühmtesten Satire der Welt, beim unsterblichen Don Quichotte noch immer die beste Umgangsform.

Sendung: "Leporello" am 19. Juli 2019 um 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK


Informationen zu Terminen und Tickets auf der Homepage der Bregenzer Festspiele