Das Spektakel war technisch perfekt, das Wetter traumhaft und der Bodensee in Bestlaune: Ein Auftakt nach Maß bei den Festspielen in Bregenz. Philipp Stölzls Regiekonzept für seinen "Rigoletto" war durchaus poetisch, aber auch hektisch – berührend war dieser Verdi nicht.
Bildquelle: Bregenzer Festspiele/Karl Forster
Himmelfahrt auf der Seebühne
Gut, singen kann er nicht, der Bodensee, aber in Bregenz spielt er trotzdem die Hauptrolle. Und er machte seine Sache diesmal hervorragend: In malerischem Blau und Gelb ließ er im Sonnenuntergang seine Wellen aufleuchten, das Wetter war perfekt, die Szenerie traumhaft. Und auch die Seebühne löste alle Ansprüche ein, die an sie gestellt werden: Spektakulär muss es sein, gewaltig groß und natürlich müssen ein paar Statisten ins Wasser fallen, diesmal übrigens besonders viele. Bei aktuell 22 Grad fällt das ja auch nicht schwer.
Regisseur Philipp Stölzl hatte sich gemeinsam mit seiner Ausstatterin Heike Vollmer für seinen "Rigoletto" offenkundig von einem Rummelplatz inspirieren lassen, der schon bessere Tage gesehen hat. Der Lack ist ab, der Rost nagt an den Geländern, das Holz ist längst gesplittert. Das erinnert an abgetakelte britische Seebäder oder osteuropäische Vergnügungsmeilen. Der Kopf einer Puppe zieht alle Aufmerksamkeit auf sich: Ein Clownsgesicht an einem monströsen Krangestänge, das sich als ungemein beweglich und ausdruckstark erweist. Wenn es sich hebt und senkt faucht die Hydraulik, wie die Fahrgeschäfte auf einem echten Jahrmarkt.
Verblüffend, wie sich der Gesichtsausdruck dieser Puppe je nach Licht und Augenaufschlag verändert. Das macht richtig Effekt, und der Einfall, dieses Gesicht nach und nach zerstören zu lassen, passt ohne Zweifel zum "Rigoletto", wo der gleichnamige Hofnarr ja vom eiskalten Zyniker zum hilflosen Opfer wird. Also verliert der bühnenfüllende Kopf erst seine Augen, dann seine Nase und Zähne und weint schließlich Sturzbäche aus Bodensee-Wasser. Das versteht auch jeder, der sich vorher nie mit "Rigoletto" beschäftigt hat.
Bildquelle: Bregenzer Festspiele/Karl Forster Ähnlich eingängig, aber leider überstrapaziert ist Philipp Stölzls Idee, den so empfindlichen und kurzlebigen Luftballon als Sinnbild für die bedrohte Poesie, für Lebensglück und -träume einzusetzen. Gleich zu Beginn fliegt Rigoletto unbeschwert durch die Luft, verliert seinen Ballon und stürzt ab. Später wird noch einmal eine Schnur durchtrennt, abermals entwischt ein Ballon, und im Riesenformat mit Korb steigt so ein Ding ebenfalls zwei Mal in die Höhe: Erst darf Rigolettos Tochter Gilda dort oben von ihrer Liebe träumen, am Ende fährt sie damit buchstäblich in den Himmel auf und lässt ihre Schärpe im Wind flattern.
Schwindelerregend, was Sänger, Stuntleute und Statisten da leisten, atemberaubend, wie Gilda hoch in der Luft baumelnd am Schwebeseil entführt wird - dafür gab´s Sonderapplaus. Insgesamt übertrieb es Philipp Stölzl allerdings ganz entschieden mit dem äußeren Aufwand und lenkte dadurch ständig Aufmerksamkeit von den Sängern ab: Affen toben herum, Hofschranzen trainieren ihren Gleichgewichtssinn, der Auftragskiller Sparafucile muss sich als Messerwerfer beweisen. Überhaupt ist fraglich, ob sich der "Rigoletto" inhaltlich für die Seebühne eignet, ist er doch ein düsteres Kammerspiel, weit weniger Spektakel als etwa eine "Turandot" oder eine "Carmen".
Beim Hit "La donna è mobile", bekannt aus der Fernsehwerbung, zeigte Stölzl jede Menge Sexpuppen, die mit ihren vielen Brüsten wie orientalische Fruchtbarkeitsgöttinnen aussahen. Das sollte als "Metoo"-Kommentar im gegenwärtigen Gender-Krieg gelten und den frauenverschlingenden Herzog von Mantua als übergriffigen Bösewicht darstellen. Doch das blieb eine kurze Episode, die nicht groß für Irritation sorgte. Die Zuschauer schienen vom Bühnenzirkus gebannt, vom Stück allerdings weitgehend unberührt geblieben zu sein. Hier fällt es selbst auf guten Plätzen schwer, jeweils die Person auszumachen, die gerade singt - psychologisch feinfühlige Charakterstudien sind da selbstredend unmöglich.
Bildquelle: Bregenzer Festspiele/Karl Forster Dirigent Enrique Mazzola wusste, worauf es in Bregenz ankommt: Deutlichkeit! Statt sich in Details zu verlieren und an Verdis melancholischer Partitur zu frickeln, bot er perfekt ausbalanciertes, aber auch etwas oberflächliches Hochglanz-Hörerlebnis. Da alle Rollen in Bregenz mehrfach besetzt sind, ist für Zuschauer im Vorhinein nicht absehbar, wer jeweils auf der Bühne steht. Hier werden die Sänger ohnehin mindestens so sehr akrobatisch wie stimmlich gefordert, sollen nicht nur bezaubern, sondern überwältigen.
Stephen Costello gab in der Premiere einen merkwürdig passiven Herzog von Mantua, Vladimir Stoyanov einen viel beschäftigten Rigoletto, der sich trotz einiger Durchhänger mehr als achtbar schlug. Mélissa Petit schaffte es als Gilda staunenswert, das Publikum zu betören, obwohl sie arg nervös herumklettern musste. Insgesamt ein technisch furioser "Rigoletto", der seine 7.000 Zuschauer täglich nicht enttäuschen wird.
Sendung: "Allegro" am 18. Juli 2019 um 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Informationen zu Terminen und Tickets erhalten Sie auf der Homepage der Bregenzer Festspiele.
Kommentare (5)
Freitag, 26.Juli, 18:54 Uhr
Van den Brand
Rigoletto
Fur mich was er das erste Mal das ich auf der BregenzerFestspiele war.Ich war voll und ganz beindruckt und habe noch nie so was schones erlebt.Das bezieht sich auf alles was ich mit die Sinne wahrgenommen habe.Ich war sogar gerührt.
Dienstag, 23.Juli, 11:16 Uhr
Herold W.
Rigoletto
Sehr geehrte Damen und Herren,
wer das Spektakel sucht, ist in Bregenz am richtigen Platz. Wer die Musik liebt,sollte italienische Opernhäuser ( auch die kleinen) besuchen, da dort wegen fehlender staatlicher Subventionen noch auf den Geschmack des Publikums Rücksicht genommen wird, im Gegensatz zu vielen deutschen Musiktempeln.Bregenz für die Augen, teatri italiani für die Ohren: Suum cuique.
Dienstag, 23.Juli, 08:46 Uhr
Bert Glück
Den Mund zu voll genommen
Das kommt davon, wenn Marketing die Kunst regiert: Ein Ballon, der (am 20.07.) nicht fliegt, bei ganz normalem Bodenseewetter !!, eine "Leiterszene", die nicht mal der Regisseur liebt und die Ankündigung "Die Musik von Rigoletto ist voller Ohrwürmer, rafiniert wie ABBA" ... dreimal "La Donna e mobilee" - wo waren die anderen Würmer? Wären nicht die wunderschönen Stimmen gewesen, das Marketing hätte es verdient anstelle der Stuntmen in den Bodensee geworfen zu werden.
Rigoletto konnte (für uns) die Carmen nicht toppen!
Den Veranstaltern sei Demut vorm Publikum empfohlen!
Wir kommen in 2021 wieder ...
Montag, 22.Juli, 08:53 Uhr
oberwindau@aol.com
Rigoletto
Sehr geehrte Damen und Herren,
leider musste ich feststellen dass diese Aufführung nichts mit dem richtigen Rigoletto zu tun hat.
Das Bühnenbild ist zwar sehr pompös aber entspricht nicht dem eigentlichen Rigoletto.
Eigentlich wollten wir wieder zu der Aufführung kommen, aber jetzt bestimmt nicht.
früher bei anderen Aufführungen war das Bühnenbild zwar auch sehr modern, aber man konnte sich in die Oper oder Musical einsehen.
Bitte nicht nocheinmal solche Bühnenbilder und Inszenierungen
Mag
Früher ein Fan
Sonntag, 21.Juli, 23:26 Uhr
Rolle
Schwebende Gilda
Bei der Aufführung am 20.07.2019 vermissten wir , die Gilda im Ballon und die Entführung aus selbigen.. Schade .....und warum nicht???