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Kritik – "Carmen La Cubana" in München Tanzwütige Rebellen ohne Torero

Die Melodien aus Georges Bizets "Carmen" kennt fast jeder - auch der, der noch nie in einem Opernhaus war. Am Deutschen Theater München gibt es den Klassiker seit 16. Oktober als Musical. Mit einer Latin-Big-Band und einer veränderten Story – angesiedelt in Kuba, zwischen Sommerglut und Revolution. Bei der Weltpremiere vor zwei Jahren in Paris sorgte "Carmen La Cubana" für Furore. München ist nach Köln und Leipzig nun die dritte Station in Deutschland. Peter Jungblut war von der Inszenierung durchaus angetan - trotz Revolutionsfolklore und kleinerer stimmlicher Schwächen.

Bildquelle: © Johan Persson

Die Kritik zum Anhören

Tanzwütige Rebellen ohne Torero

Stierkämpfe sind in Kuba seit 1899 verboten. Die damals dort tonangebenden Amerikaner konnten damit wohl nichts anfangen. Also muss eine kubanische "Carmen" schon mal auf einen Torero verzichten. Folgerichtig geht es in dieser Fassung um einen unerschrockenen Boxer, der für die Revolution, die Liebe und die Ehre in den Ring steigt. Sein Gegner, klar, ist ein bösartiger, hochmütiger Yankee, der gern im Cowboy-Dress herumstolziert und mit der Diktatur paktiert. Logischerweise triumphieren am Ende die tanzwütigen Rebellen, schließlich wurde die Show von einem kubanischen Veranstalter koproduziert, aber die so heißblütige wie selbstbewusste Carmen, die muss natürlich auch hier ihr Leben lassen. Von Georges Bizets Originalmusik ist wenig übriggeblieben, aber das ist kein Manko, schließlich war der Franzose nie in Spanien und hat sich die ganze Kastagnetten-Romantik auch nur angelesen bzw. auf seine Inspiration vertraut.

Die Inszenierung in Bildern

Tropical-Show auf einem Kreuzfahrtschiff

Eine Habanera, also ein Tanz aus Havanna im 2/4-Takt, kommt ja in der "Carmen" tatsächlich vor, warum also nicht das ganze Stück dorthin verlegen und mit lateinamerikanischen Rhythmen wie Mambo und Tango aufpeppen? Gut, das klingt dann zwar wie eine Tropical-Show auf einem Kreuzfahrtschiff, aber diese Fassung ist vom britischen Regisseur Christopher Renshaw professionell in Szene gesetzt, unterhaltsam bebildert und vom kubanisch-amerikanischen Komponisten Alex Lacamoire rasant arrangiert und orchestriert worden. So rasant, dass manches oberflächlich vorbei rauscht, nicht wirklich hängen bleibt - ein Musical-Abend ist aber eben was anderes als eine Oper. Hier kommt es auf athletische Tänzer an, auf glitzernde Kostüme, schnelle Umbauten, eine gute Tonanlage und auf Solisten, die in ihren Rollen nicht nur stimmlich, sondern auch äußerlich glaubwürdig sind. Da werden in der Oper wesentlich mehr Kompromisse gemacht, manchmal auch peinliche.

Fidel Castro und Marlon Brando

Szenenbild aus Carmen La Cubana - am Deutschen Theater | Bildquelle: © Nilz Böhme Szenenbild aus "Carmen La Cubana" | Bildquelle: © Nilz Böhme Insofern ist diese kubanische Carmen vor allem dank der wirklich mitreißenden Choreographien von Roclan González Chávez, der sein Geld beim Fernsehballett in Havanna verdient, in jeder Hinsicht empfehlenswert, vorausgesetzt, der Zuschauer vergleicht sie nicht ständig mit der Originalvorlage und ärgert sich nicht über die Revolutions-Folklore, die hier allerdings wohltuend unaufdringlich daherkommt. Fidel Castro wird nur ganz am Rande erwähnt, dann allerdings in einem Atemzug mit Marlon Brando. Selbstredend beginnt die Show mit einer riesigen Kuba-Flagge, soviel Patriotismus muss sein. Auf der Bühne ist einmal mehr ein reichlich demoliertes Havanna zu sehen: Die einstige Pracht bröckelt, Spielhöllen tarnen sich hinter Bretterverschlägen, Huren versuchen sich irgendwie über Wasser zu halten, Geisterbeschwörerinnen werben um Kunden. So liebt der reiche Tourist sein Kuba, fehlen nur noch die alten amerikanischen Straßenkreuzer, aber eigentlich wäre es ja höchste Zeit, diesen skandalösen Investitions-Rückstau nicht länger zu verklären und zu vermarkten. Leiden müssen ja die Kubaner, die in dieser Show mit überraschend viel Selbstironie unterwegs sind. Da ist von löchrigen Badezimmern die Rede, und trotz aller Lebenslust und Tanzwut geht es allen eigentlich den ganzen Tag nur ums Geld: "Dinero" ist daher die häufigste Vokabel.

Schüchterner José

Beide Hauptdarsteller, Luna Manzanares Nardo als Carmen und Saeed Mohamed Valdés als José kommen wie die meisten anderen Mitwirkenden aus Havanna, und beide spielten hervorragend. So eine Carmen würde sich manch ein Opernhaus wünschen: Glutvoll, kompromisslos, hart, eigensinnig und von tiefer Melancholie. José ist hier tatsächlich ein unsicherer, schüchterner Kerl von eher durchschnittlichem Aussehen. Mit den vielen Prachtexemplaren von Machos drum herum kann er es nicht aufnehmen und rührt gerade deshalb die Herzen des Publikums. Stimmlich blieben bei ihm leider Wünsche offen, das galt auch für Joachin Garcia Mejias als Boxer "El Niño" und Cristina Rodriguez Pino als Marilu, eine Rolle die in Bizets Oper der braven, keuschen Micaëla entspricht. Sängerisch fulminant war Albita Rodriguez als Erzählerin, die mal die Dorfjugend betreute, mal die Karten legte, mal im morbiden Casino verwegene Songs interpretierte. Der kolumbianische Dirigent Hector Martignon sorgte für ordentlich Tempo, wie es karibischer Brauch ist. Das war zwar furios und sorgte bei den Tänzern für die nötige Motivation, allerdings klang auch alles ziemlich ähnlich und hatte streckenweise allzu sehr die Anmutung von Animationsprogrammen.

"Carmen La Cubana" am Deutschen Theater

Das Musical "Carmen La Cubana" läuft bis zum 28. Oktober am Deutschen Theater München.
Informationen zu Terminen und Vorverkauf finden Sie auf der Homepage des Theaters.

Sendung: "Allegro" am 19. Oktober 2018 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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