Carmen ließ sich weder am Freitag in Hof, noch Samstagabend in Regensburg blicken. Sie stand zwar jeweils auf dem Spielplan, schaffte es aber in beiden Fällen aus irgendeinem Grund nicht auf die Bühne. Dort nämlich waren Sängerinnen zu erleben, die ihre Rollen zwar achtbar bewältigten, aber mit der stolzen, selbstbewussten, wilden, leidenschaftlichen, andalusischen Carmen nicht die geringste Ähnlichkeit hatten. Und doch haben die beiden Inszenierungen jeweils ganz eigene Stärken.
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Weder Vera Egorova in Regensburg, noch Cordelia Katharina Weil in Hof hatten irgendetwas von der Glut, der Würde, der Verzweiflung und der Bedrohlichkeit einer Schönheit aus Sevilla, beide wirkten vollkommen unerotisch, kühl und reserviert. Nun klappern zwar im Orchester die Kastagnetten und ein Torero dreht seine Runden, aber "Carmen" ist bekanntlich eine französische Oper, die mit echter spanischer Tradition sowieso nicht viel zu tun hat. Insofern geht es schon in Ordnung, wenn Regisseure heutzutage auf Flamenco-Folklore verzichten und eine zeitgemäße Carmen zeigen.
Aber es geht nun mal um eine krasse Außenseiterin, eine freiheitsliebende, bedrohliche, auch dämonische Frau, und da reicht es einfach nicht, sie in Hosen auftreten und Zigaretten rauchen zu lassen. Carmen treibt die Männer in den Wahnsinn, das wurde leider weder in Hof, noch in Regensburg so recht deutlich.
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Dabei spielen sich doch fast wöchentlich irgendwo in Deutschland tödliche Eifersuchtsdramen ab, Männer kommen mit einer Trennung nicht klar und werden zu Mördern ihrer Frauen. "Carmen" ist also von traurigster Aktualität. Aber das Thema Eifersucht erschien den Regisseuren Roman Hovenbitzer in Hof und Hendrik Müller in Regensburg wohl einfach zu alltäglich, und für die verhängnisvolle Erotik von Carmen interessierten sie sich ebenfalls nur am Rande - entsprechend farblos blieb die Hauptfigur, und ehrlich gesagt, in beiden Fällen auch etwas langweilig.
Stattdessen ging es jeweils um die Krise des Mannes. In Hof leidet Carmens unglücklicher Liebhaber, der tolpatschige, kreuzbrave Don José unter einer überstarken Mutterbindung. Mama ist allzeit präsent, halb Madonna, halb Domina. Zur Strafe wird Don José am Ende zwangsverheiratet. Das geschieht ihm recht, er ist eben ein unreifer Junge geblieben.
In Regensburg dagegen ist Don José traumatisiert, weil es seine herrschsüchtige Mutter mit jedem getrieben hat: Er hat eine Sexualneurose, wie offenbar alle Soldaten. Entweder wird vergewaltigt, oder es droht der Selbstmord, dazwischen hat die Liebe jedenfalls keinen Platz.
Und doch haben die beiden Inszenierungen jeweils ganz eigene Stärken.
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Vera Egorova in der aktuellen "Carmen" des Theater Regensburg
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Carmen zwischen Plattenbaufassaden
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Eigentlich ging's in Regensburg um die Männer...
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Traditionalisten werden sich in Hof wohler fühlen, wo das Bühnenbild und vor allem die Kostüme immerhin etwas spanisches Lokalkolorit andeuten. Über einem baufälligen, verstaubten Ballsaal mit einer kreisrunden Arena ist der Spruch zu lesen: Die Liebe ist wie der Tod. Eine Flügeltür im Hintergrund erinnert an einen Altar und damit an die einstmals sehr strenge spanische Frömmigkeit. Das machte durchaus Effekt.
Das Regensburger Bühnenbild dagegen ließ Zweifel aufkommen, ob die Carmen in Nordkorea, Novosibirsk oder Sevilla spielt. Ausstatterin Claudia Doderer hatte Plattenbaufassaden entworfen und damit die kälteste und leider auch abgenutzteste aller denkbaren Kulissen. Kein Wunder, dass der eigentlich ich-schwache und handlungsunfähige Don José hier nicht nur seine Carmen und sich selbst umbringt, sondern vorher auch noch seinen Vorgesetzten erschiesst. Eine sehr harte, bemüht aggressive Interpretation.
Trotz einiger Gemeinsamkeiten bieten die Theater in Hof und Regensburg also sehr unterschiedliche Sichtweisen auf "Carmen". Die Orchester bewältigten ihre Aufgabe jeweils mehr als achtbar. Der Chor in Regensburg schien etwas sorgfältiger geprobt zu haben als in Hof. Unter den Solisten überzeugten die Nebendarsteller und auf beiden Bühnen die Darsteller des Stierkämpfers Escamillo: Seymour Karimov in Regensburg und James Tolksdorf in Hof wirkten maskulin, souverän und glaubwürdig.
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