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Klage gegen Kultur-Lockdown "Pauschale Begrenzungen sind wissenschaftlicher Nonsens"

"Aufstehen für die Kunst!" Eine Gruppe international renommierter Bühnenkünstlerinnen und -künstler will gerichtlich gegen die pauschale Schließung von Konzert- und Opernhäusern vorgehen. Wenn Veranstaltungssäle nicht gleichzeitig mit dem Einzelhandel öffnen dürfen, will die Initiative beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vorstellig werden. Ein Eilantrag war schon im Dezember geplant, wurde nach der Ausrufung des Katastrophenfalls in Bayern aber verschoben. Sollten sich für die Kultur keine Lockerungen abzeichnen, will die Initiative nun im März Klage einreichen.

Bildquelle: Gregor Hohenberg / Sony Classical

Es geht ihnen um nicht weniger als den Verfassungsrang von Kultur. Den sehen die Künstlerinnen und Künstler des Bündnisses beeinträchtigt – unter ihnen der Bariton Christian Gerhaher und der Dirigent Hansjörg Albrecht. Unterstützt wird die Initiative "Aufstehen für die Kunst" vom Rechtsanwalt Wolfram Hertel aus der Berliner Kanzlei Raue, die auf Kunst und Kultur spezialisiert ist. "Grundrechte müssen dort ausgeübt werden können, wo sie mit Blick auf das Infektionsrisiko vertretbar sind", fordert Hertel in einer Pressekonferenz am 24. Februar im Münchner Gasteig. "Diejenigen Theater und Konzerthäuser, die einen solchen Schutz gewährleisten können, dürfen deshalb nicht weiter pauschal geschlossen bleiben!"

Das Grundrecht auf Kunstfreiheit

Der Staat dürfe nur dann in Grundrechte eingreifen, wenn von Kulturveranstaltungen selbst eine konkrete Gefahr für die Gesundheit ausgehe. Der Weg zu einer Veranstaltung aber könne hier nicht mit einberechnet werden. Nicht zulässig seien laut Hertel Untersagungen, mit denen nur mittelbare Ziele erreicht würden, wie etwa möglichst wenig Mobilität. Was bei der Religionsfreiheit und Versammlungsfreiheit berücksichtigt worden ist, fordert die Initiative auch für die Kultur. Doch Hertel stellt auch klar, dass das Bündnis keinen "Freibrief für jegliche Art von Kulturveranstaltungen" fordert, sondern mit Beschränkungen und Schutzmaßnahmen einverstanden ist.

Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse kein signifikantes Infektionsrisiko einer grundrechtlich geschützten künstlerischen Tätigkeit belegen können, sind die Grundrechtseinschränkungen zurückzunehmen.
Wolfram Hertel, Rechtsanwalt der Initiative Aufstehen für die Kunst

Theater und Handel sollen zeitgleich öffnen

Der Tenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke hält pauschale Zuschauerbegrenzungen in Theatern für "wissenschaftlichen Nonsens". | Bildquelle: picture alliance / Florian Schroetter / EXPA / picturedesk.com Zu den prominenten Unterstützern der Initiative zählen die Geigerin Anne-Sophie Mutter, der Dirigent Kent Nagano, die Choreographin Sasha Waltz und Startenor Rolando Villazón, außerdem zahlreiche Chöre, Orchester, Festivals, Veranstalter, Intendanten, Kulturverbände, Künstleragenturen, Musikverlage, Musikalienhandel, CD-Labels, Instrumentenbauer, Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker sowie die GMD- und Chefdirigent*innenkonferenz e.V., die Initiative Krea[K]tiv musiktheater stands up e.V. und das Forum Musik Festivals. Bereits am 7. Dezember 2020 wollten die Künstlerinnen und Künstler beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof München ein Eilantrag stellen. Nach der Ausrufung des Katastrophenfalls in Bayern hatten sie ihr Anliegen vorerst zurückgestellt. Dass derzeit vor einer dritten Infektionswelle gewarnt wird, vor Mutationen und einem höheren Ansteckungsrisiko, ist für "Aufstehen für die Kunst" kein Argument, den geplanten Eilantrag abermals zu verschieben. Spätestens zeitgleich mit dem Einzelhandel sollen die Theater und Konzertsäle wieder für Veranstaltungen öffnen dürfen, so die Forderung.

Ansteckungsrisiko im Theater laut Studie gering

Der Sänger und Mitinitiator Wolfgang Ablinger-Sperrhacke argumentiert gegenüber dem Bayerischen Rundfunk, dass laut einer Studie der TU Berlin das Ansteckungsrisiko in Theatern bei dreißigprozentiger Belegung geringer sei als bei Friseuren, die in Bayern ab 1. März wieder öffnen dürfen. Die pauschalen Begrenzungen der Sitzplätze in den Theatern hält der Sänger für "wissenschaftlichen Nonsens". Mit fünfzig Personen im Publikum seien kleine Spielstätten schon gut ausgelastet, während die gleiche Anzahl in großen Häusern kaum der Rede wert sei.

Was wir als unverständlich anprangern, ist das offensichtlich geringe Interesse an den Künsten von Seiten der Politik in diesen Zeiten.
Christian Gerhaher, Bariton und Mitinitiator

Unehrliche Argumentationsweise der Politiker

Der Bariton Christian Gerhaher kritisierte während der Pressekonferenz die "unehrliche Argumentationsweise" der Politik. Wenn der Weg zum Theater mit dem Nahverkehr das eigentliche Risiko sei, wie oft behauptet, sei auch der Weg zum Einkaufen ähnlich gefährlich. "Wir wollen, dass sich diese Unverhältnismäßigkeit nicht mehr wiederholt. Wir klagen nicht an, sondern suchen dafür eine gerichtliche Klärung." Das "offensichtlich geringe Interesse an den Künsten von Seiten der Politik" ist für Christian Gerhaher unverständlich: Theater seien gerade während einer Pandemie wichtig als "sinnstiftende und die Gesellschaft im Inneren zusammenhaltende Vermittler von Werten, die genau zwei Dinge verhindern helfen könnten, wovon die Politik doch so häufig mit Grauen spricht: Der Spaltung unserer Gesellschaft und der Verfall ihres Bildungsniveaus."

Wir sind sehr zuversichtlich, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof einem Eilantrag, der sich gegen die Kultur-Totalverbote wendet, stattgeben wird.
Wolfram Hertel

Eilantrag für März geplant

Spätestens nach dem kommenden Treffen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten am 3. März will die Initiative prüfen, ob ein Eilantrag beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof auf Öffnung der Theater gestellt wird. Den Eilantrag sofort einzureichen, hält der Anwalt Wolfgang Hertel aufgrund der Rechtslage für nicht sinnvoll. "Wir müssen den Klagegegenstand abwarten. Die jetzige Verordnung in Bayern läuft am 7. März aus. Es wird dann eine Nachfolge-Verordnung kommen, und es hat keinen Sinn, gegen eine Verordnung zu klagen, die in ein paar Tagen abgelaufen sein wird." Außerdem hofft er, dass sich die Politik vielleicht doch noch einsichtig zeigt und bei Lockerungen die Kultur mitdenkt. "Die Kultur hat als erstes zugemacht, die dürfen nicht die sein, die als letztes wieder aufmachen."

Sendung: "Leporello" am 24. Februar 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK