Im Herbst, zur neuen Konzertsaison wollen viele Laiensänger wieder proben und Konzerte geben. Darüber freuen sich die Chöre, das Singen hat ihnen gefehlt. Viele sind jedoch verunsichert, unter welchen Bedingungen das Musizieren möglich ist. Seit dem 22. Juni bereits dürfen Chöre sich in Bayern wieder zum Proben treffen. Was müssen sie dabei beachten? Hier die wichtigsten Antworten zum Singen in Pandemiezeiten.
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Dieser Artikel wurde am 25. September 2020 auf den aktuellen Stand gebracht.
Wie sehr ihnen das Singen gefehlt hat, merken viele Chorsänger bei den ersten Proben nach den Sommerferien wieder. Gemeinsames Singen in Laienchören ist seit dem 22. Juni 2020 in Bayern wieder möglich. Damals hatte Ministerpräsident Markus Söder entsprechende Corona-Lockerungen bekanntgegeben. Anfang Juli dann wurde ein entsprechendes Hygiene-Konzept veröffentlicht. Derweil wird weiter geforscht, über welche Wege sich das Corona-Virus verbreitet. Kein Wunder, dass viele Chorbegeisterte erst einmal verunsichert sind, wie sie sich verhalten sollen und was unter welchen Bedingungen wieder möglich ist. Wir fassen den Stand der Dinge zusammen.
Als Voraussetzung für die Proben gilt derzeit ein Mindestabstand zwischen den Sängerinnen und Sängern von zwei Metern beim Singen. Außerdem muss regelmäßig gelüftet und die Dauer der Probe begrenzt werden. Sobald sich Chormitglieder im Innenraum bewegen, müssen sie eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen. Weitere Informationen bietet das ausführliche Schutz- und Hygienekonzept, das die Ministerien für Gesundheit und Pflege und für Wissenschaft und Kunst speziell für Chorproben und -konzerte ausgearbeitet haben.
Abstand wäre beim Mitsingkonzert cOHRwürmer nicht möglich gewesen. | Bildquelle: © Klaus Fleckenstein Die im Hygiene-Konzept angegebenen Maßnahmen sind abhängig von den Rahmenbedingungen der einzelnen Proberäume, Theater und Bühnen. Sie müssen also im Hinblick auf die jeweiligen Bedingungen angewendet werden. Ziel bei allen Maßnahmen: Übertragungswege zu unterbrechen, also möglichst dafür zu sorgen, dass sich innerhalb der Betriebe oder Musikgruppen das Virus nicht verbreiten kann.
Laut Robert Koch-Institut (RKI) scheint der Hauptübertragungsweg die Aufnahme von virushaltigen Flüssigkeitspartikeln zu sein, die beim Atmen, Husten, Sprechen und Niesen entstehen. Je nach Größe der Partikel wird zwischen Tröpfchen und kleineren Aerosolen unterschieden. Dabei können Aerosole auch über längere Zeit in der Luft schweben und sich in geschlossenen Räumen verteilen. Beim Atmen und Sprechen, aber noch stärker beim Schreien und Singen, werden diese Aerosole ausgeschieden.Verteilen sich Aerosole im Raum, reicht ein Mindestabstand oft nicht aus. Gemeinsames Singen in geschlossenen Räumen über einen längeren Zeitraum kann also in Pandemiezeiten zum Problem werden.
Anhaltspunkte dafür liefert eine Studie der LMU München und der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen in Zusammenarbeit mit dem BR-Chor. Neben der Ausbreitung größerer Spucketröpfchen haben die Forscher auch die berüchtigten Aerosolwolken untersucht. Um die Aerosolwolken zu imitieren, verwendeten die Wissenschaftler Zigarettenrauch. Ein erstes Zwischenergebnis der Studie wurde am 3. Juli veröffentlicht. Fazit: Bis zu eineinhalb Meter breiteten sich die eingeatmeten Gase im Raum aus. Nicht nur nach vorne, auch nach den Seiten verteilt sich der Rauch – wenn auch nicht so weit.
Das ist wesentlich weiter als einer Studie der Bundeswehr-Universität zufolge, die im Mai veröffentlicht wurde. Die Forscher hatten Luftschwingungen im Bereich von fünfzig Zentimetern vor dem Mund beobachtet. Die These des Studienleiters damals: Die Infektionsgefahr beim Singen sei nicht wesentlich größer als beim Sprechen.
Der Stimmarzt Matthias Echternach, der an der Studie der LMU München beteiligt war, hält einen Abstand von mindestens zwei, besser 2,5 Metern nach vorne für nötig. Zur Seite empfiehlt er einen Abstand von 1,5 Metern. Und es komme auf den Probenraum an: "Wenn dagegen keine gute Durchlüftung gegeben ist, muss zum einen der Raum sehr groß sein. Und auch die Abstände müssen größer werden."
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Musizieren waehrend der Pandemie
Laut Bernhard Richter, HNO-Arzt und Leiter des Freiburger Instituts für Musikermedizin, ist es problematisch, wenn sich mehrere Menschen in einem Raum aufhalten, "und die über einen längeren Zeitraum tief ein- und ausatmen, dann wird sich der gesamte Raum in etwa 15 Minuten füllen." Wäre ein Infizierter unter den Sängern, würde sich auch das Virus im Raum verteilen.
Seit dem 22. Juni darf in Bayern wieder im Chor geprobt werden - mit Abstand. | Bildquelle: © Bayerischer Rundfunk 2019 Eine Studie, die Mitte März im "New England Journal of Medicine" veröffentlicht wurde, kam zu dem Ergebnis, dass mit Sars-CoV-2 belastete Aerosole im Labor bis zu drei Stunden lang infektiös blieben. Deswegen spielt die Größe des Raums eine wichtige Rolle. Sie sollte mindestens zwanzig Quadratmeter pro Person im Raum betragen.
Die Bundesregierung hat am 16. April 2020 einen verbindlichen Arbeitsschutzstandard SARS-CoV-2 für die Zeit der Coronavirus-Pandemie aufgestellt. Er soll die Sicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten zu Corona-Zeiten sicherstellen. Diese Arbeitsschutzstandards müssen auch von Kulturveranstaltern, Bühnen und Studios umgesetzt werden. Die Verwaltungsberufsgenossenschaft VBG hat deshalb für die Branchen zugeschnittene Handlungshilfen entwickelt.
Für Berufschöre empfiehlt die VBG: "Bei Chören ist ein Infektionsrisiko insbesondere durch Aerosole gerade auch bei steigender Gruppengröße erhöht. Deshalb sollte derzeit das Chorsingen im Freien bevorzugt werden. Hierauf weist z.B. die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Musikerphysiologie und Musikermedizin vom 13.08.2020 hin. Dennoch können bei verstärkter Lüftung und großem Abstand der Chormitglieder Proben und Darstellungen möglich sein. In Singrichtung ist ein Abstand von mindestens 6 m und seitlich von mindestens 3 m einzuhalten. Eine Verringerung des Abstandes in Singrichtung auf 3 m kann nur bei verstärkter Lüftung und nachweislicher Einhaltung einer maximalen CO2-Konzentration der Raumluft von 800 ppm erfolgen."
Wie die Unternehmen diese Empfehlungen umsetzen, liegt in ihrer Verantwortung. Verstoßen Unternehmen jedoch gegen die Arbeitsschutzstandards und gefährden dadurch ihre Mitarbeiter, kann die Aufsichtsbehörde eine Sanktion anordnen.
Für Menschen, die beruflich miteinander singen, geht es bei der Frage der Corona-Maßnahmen auch um den Arbeitsschutz. Eugen Maier von der Kommunalen Unfallversicherung Bayern: "Kommt es zu einer Ansteckung mit dem Coronavirus unter Chormitgliedern, kann eine Anerkennung als Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung nur dann erfolgen, wenn es nachweislich eine sogenannte Indexperson im Chor gibt. Diese muss positiv auf das Virus getestet und in der Ansteckungszeit muss ausreichend Zeit mit dem infizierten Mitarbeiter verbracht worden sein (also "face to face"-Kontakt, mindestens 15 Minuten mit weniger als dem üblichen Sicherheitsabstand von 1,5 Metern). Dies würde dann als Arbeitsunfall durch den zuständigen Unfallversicherungsträger geprüft werden."
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Proben in Bayern wieder erlaubt: Chor-Studie mit BR-Chor - Singen trotz Corona | Gut zu wissen | BR
Mindestens 30 von 41 Mitglieder eines spanischen Gospelchors haben sich Mitte September bei den Vorbereitungen für ein Open-Air-Konzert in der Nähe von Barcelona mit Covid-19 angesteckt. "The River Troupe Gospel" probte zwar am 11. September mit Maßnahmen wie Temperaturcheck, Hände waschen, Abstand und Mund-Nasen-Bedeckung, allerdings seien wegen der Mücken die Fenster geschlossen gewesen, so der Gospelchor.
Am 21. März probte die Berliner Domkantorei – achtzig Mitglieder auf etwa 120 Quadratmetern. Fünf Tage nach dieser Probe hätte ein Chormitglied erste Symptome einer Infektion gezeigt, teilte Domkantor Tobias Brommann dem NDR mit. Insgesamt rund sechzig der achtzig Mitglieder zeigten im Anschluss Symptome verschiedener Schwere.
In Amsterdam erkrankten nach einem Konzert am 8. März mehr als 100 Sängerinnen und Sänger des Amateurchors "Het Amsterdams Gemengd Koor". Es gab vier Todesfälle. Auch der Dirigent Paul Valk und die Solisten haben Symptome gezeigt, genauso wie viele Musiker des begleitenden Ensembles "Holland Orkest Combinatie". Fünf Tage nach dem Konzert wurden alle Konzertsäle in den Niederlanden geschlossen.
Ein weiterer Fall ist in den USA bekannt geworden: Nach einer Chorprobe am 10. März infizierten sich im Nordwesten der USA mehr als die Hälfte der Sängerinnen und Sänger des Skagit Valley Chorale, zwei Mitglieder starben. Laut einer Pressemitteilung des Chors sei bis zu dieser Probe kein Covid-19-Fall in Skagit Valley bekannt gewesen, kein Chormitglied habe zu diesem Zeitpunkt Symptome gezeigt, auch habe es noch kein Versammlungsverbot gegeben.
Einer Studie der Technischen Universität und der Charité Berlin zufolge stoßen Kinder beim Singen weniger Aerosole aus als Erwachsene. Grund dafür könnte die geringere Stimmstärke sein. Das Ergebnis könnte bedeuten, dass die Infektionsgefahr bei Kinderchören geringer ist als bei Erwachsenenchören. Noch sind die Forschungsergebnisse allerdings ohne wissenschaftliche Begutachtung veröffentlicht. Die Studie wurden mit sieben Kindern aus zwei Berliner Chören durchgeführt und ist bisher die einzige, die den Aerosolausstoß bei singenden Kindern gemessen hat.
Kommentare (4)
Donnerstag, 21.Mai, 10:23 Uhr
Ralf Hartmann
Chor
Sehr geehrte Dmen und Herren, bitte diesen Text überarbeiten weil es andere Berichte gibt
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/112861/SARS-CoV-2-Wie-ein-Saenger-(fast)-den-gesamten-Chor-angesteckt-hat
Das sagt alles! Danke
Dienstag, 19.Mai, 20:18 Uhr
Christoph Garbe
Frage
Zu Beginn der Krise und im Zusammenhang mit dem Bericht von dem US-amerikanischen Chor wurde in der Presse die Vermietung geäußert, dass ein tiefes Einatmen bei offenen Atemwegen das Virus sich direkt und ungefiltert in der Lunge festsetzen ließe. So bestünde ein erhöhtes Risiko für Chorsänger und auch für jüngere Menschen ohne Vorerkrankung sei ein schwerer Krankheitsverlauf so erklärbar. Gibt es dazu neue Erkenntnisse? Aktuell geht es in Untersuchungen v.a. um Aerosole, die von Musikern ausgehen.
Antwort von BR-KLASSIK: Lieber Herr Garbe, das Robert-Koch-Institut schreibt dazu: "Beim Atmen und Sprechen, aber noch weitaus stärker beim Schreien und Singen werden vorwiegend kleine Partikel (Aerosol) ausgeschieden. (...) Der längere Aufenthalt in kleinen, schlecht oder nicht belüfteten Räumen kann die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch Aerosole auch über eine größere Distanz als 2 m erhöhen, insbesondere dann, wenn eine infektiöse Person besonders viele kleine Partikel (Aerosole) ausstößt und exponierte Personen besonders tief einatmen. (...) Ein Beispiel dafür ist das gemeinsame Singen in einem geschlossenen Raum über einen längeren Zeitraum, wo es zu sehr hohen Erkrankungsraten kommen kann, die sonst nur selten beobachtet werden." (Stand: 12.06.2020)
Sonntag, 10.Mai, 12:50 Uhr
Knut auf der Hut
Aerosole
Die Tröpfcheninfektion bekommt man über Abstandsregeln leicht in den Griff, aber das schwierigere Problem sind die Aerosole im Raum, wie auch das Beispiel der Domkantorei zeigt. Da haben sich 60 Menschen sicher nicht alle im Face-to-face-Kontakt mit dem einen Infizierten angesteckt. Chorproben in geschlossenen Räumen sind daher aus meiner Sicht grob fahrlässig - übrigens genauso wie große Familienfeiern oder Sitzungen im Büro oder Kaninchenzüchtervereinstreffen.
Samstag, 09.Mai, 21:34 Uhr
Horst Kellerer
Singen und Fussball
Fussballtraining unter Einhaltung der 1,5 m Abstand ist ab Montag im Freien erlaubt. Dann verstehe ich nicht, warum man, mit entsprechendem Abstand mit 4 oder 5 Personen nicht auch im Freien Singen darf.