Seit nunmehr 55 Jahren ist Daniel Barenboim regelmäßiger Gast bei den Salzburger Festspielen. Und auch im Jubiläumsjahr der Festspiele trat er am Mittwoch als Pianist auf die Bühne des Großen Festspiehauses. Auf dem Programm: Beethovens Klaviersonate Nr. 31 und Diabelli-Variationen. Doch ein Jubiläumsjubel stellte sich beim BR-KLASSIK-Kritiker in diesem Konzert nicht ein.
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Große Dirigenten sind selten große Pianisten. Beides beansprucht zu viel Zeit, um das jeweils andere mit ähnlicher Professionalität auszuüben. So geht ein altes Vorurteil. Und trotzdem: Nach Gegenbeispielen muss man nicht lange suchen. Christian Zacharias wäre hier vielleicht zu nennen. Christoph Eschenbach natürlich. Aber der berühmteste ist zweifelsohne: Daniel Barenboim. Der trat diesem Vorurteil unlängst noch einmal in einem Interview entgegen. Mit der Behauptung, als Dirigent habe er gelernt, sich selbst besser zuzuhören. Grund an dieser Aussage zu zweifeln, gibt es eigentlich nicht. Und so wüsste man schon gerne, was der Dirigent Daniel Barenboim denkt, wenn er dem Pianisten Daniel Barenboim zuhört. Immerhin ist ersterer für seine musikalische Skrupulosität, für seinen unbestechlichen Klangsinn, sein strenges Ohr bekannt. Und auch dafür, seine musikalischen Vorstellungen am Pult bisweilen mit rücksichtsloser Strenge durchzusetzen. Ohne Frage: mit eindrucksvollem Ergebnis.
Gegenüber seiner eigenen Performance scheint er da mehr Milde walten zu lassen. Zu diesem Schluss muss zumindest kommen, wer Barenboim in Salzburg gehört hat. Nicht irgendein Konzert, sondern ein Doppeljubiläum. Seit 70 Jahren steht Barenboim auf der Bühne, seit 55 Jahren ist er bei den Salzburger Festspielen zu Gast. Zahlen, die schnell vergessen sind, aber zeigen, was für eine gewaltige Karriere dieser Mann auf dem Buckel hat. Barenboim genießt Denkmalstatus in der Welt der klassischen Musik. Was kann man also über dieses Bühnenjubiläum sagen? Vielleicht das: Barenboim hat sich – Stichwort: Denkmal – immerhin nicht vom Sockel gestürzt. Er hat sich ohne größeren Schaden durch ein gewaltiges Programm gekämpft, Beethovens vorletzte Klaviersonate und die Diabelli-Variationen. Eineinhalb Stunden ohne Pause. Beethoven-Everest.
Allerdings ist schon in den ersten Takten der Sonate Nr. 31 Op. 110 klar: Es wird ein Kampf. Barenboim bewältigt Beethoven mehr, als dass er ihn spielt – oder gar mit ihm spielt. Der choralartige Beginn gelingt noch in schimmernd ausbalancierten Akkorden, doch schon in der ersten Variation des Themas zeigen sich erste Unwuchten: forciertes Rubato, mulmige Bässe. Und wenn die Arpeggien einsetzen, dann klingen aus dem Flügel keine Glöckchen, sondern eher eine pedalierte Klangwand, bei der man mehr ahnt als wirklich hört, dass nicht alle Ziegel an Ort und Stelle sitzen.
Neblig – das scheint die Spielanweisung zu sein, die sich Barenboim verordnet hat. Und die er mit eindrucksvoller Konsequenz durchzieht. Das Klangbild bleibt über eineinhalb Stunden ziemlich homogen. Ecken und Kanten hat sein Beethoven nicht. Selbst dort, wo Barenboim hörbar Akzente setzt, verbreitert er sie durchs Pedal, nimmt ihnen so die Schärfe. Behäbig wirkt das. Romantisch im schlechtesten Sinn des Wortes. Kein Vergleich zu dem, was Igor Levit parallel mit Beethoven im Haus für Mozart macht. Da werden vor allem die Brüche betont, die Beethoven seinen Hörerinnen und Hörern zumutet: Brüche, was das Tempo, die Dynamik und auch die Klangfarben angeht. Bei Levit: leuchtende Vielfalt. Bei Barenboim stattdessen: monotones Graublau.
Nach positiven Aspekten muss man richtig suchen, entdeckt sie am ehesten noch in den letzten der Diabelli-Variationen. Ja, Barenboim hat ein Gespür für sangliche Linien, kann Melodien atmen lassen, kann, wenn er will, die Oberstimmen aus dem Mittelstimmendunst brillant hervorblitzen lassen. Alles in allem rettet das die Sache leider nicht. Schade.
Sendung: "Allegro" am 20. August 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK