Ein Popidol wechselt die Straßenseite, geht mit dem Philadelphia Orchestra und Eugene Ormandy auf Tour und nimmt Prokofjew und Britten auf: Was David Bowie 1978 in Angriff nahm - für Klassik-Liebhaber und Popmusik-Fans war dies damals gleichermaßen unerhört.
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Bedenken wir: Die pluralistische Musikkultur unserer Tage kennt keine Tabus und Grenzen. Die Trennung zwischen den diversen musikalischen Sphären ist aufgehoben. Klassik und Pop, Ethno und Avantgarde, Alte Musik und Jazz leben in friedlicher, partnerschaftlicher Koexistenz nebeneinander oder verbinden und vermischen sich zu dem, was man früher eine "Messalliance" genannt hat. Denn vorbei sind die Zeiten, in denen sich ein Komponist artifizieller Musik dafür geschämt hat, auch populäre Tanzmusik zu schreiben und dies nur unter einem Pseudonym wagen konnte - gleich einer Schauspielerin, die ihre Porno-Auftritte jenseits der seriösen Filme nur unter einem Decknamen zu absolvieren vermochte.
In der Tat: In den Nachkriegsjahrzehnten kam das Interesse für Jazz und Pop unter Klassik-Freunden noch einem Sakrileg gleich. Keiner tanzte zwar mehr nach einem Passepied von Bach oder Telemann oder nach einem Menuett von Haydn oder Mozart, allenfalls nach einem Walzer von Strauß, aber Mambo, Chachacha und Bossa Nova oder später die Disco-Tänze à la John Travolta wurden jenseits vom "sündigen" Tanzvergnügen als "musikalischer Schund" verachtet. Der Berliner-Philharmoniker-Chef Herbert von Karajan tat um 1960 in totaler Verkennung der Realität die Schlagermusik als bloße Mode-Erscheinung ab, die Star-Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf bekundete: "Wenn ich diese Musik höre, drehe ich das Radio ab oder gehe aus dem Zimmer", und der Cello-Altmeister Pablo Casals diffamierte gar Bill Haleys Jahrhundert-Hit und Klassiker für alle Zeiten "Rock around the Clock" als "ein Destillat aus allen Widerwärtigkeiten unserer Zeit". Oh, my Gosh! Und die Jazz- und Rockmusiker? Sie waren nicht besser: Sie taten das, was jenseits von ihrem "begrenzten" Horizont lag, wiederum als too "sophisticated" ab.
"Let’s dance, put on your red shoes and dance the blues! Let’s dance, to the song that is playin’ on the radio!" Die Aufforderung, die roten sexy High Heels anzuziehen und in der Disco einen show-off abzutanzen - der Song mit diesen Eröffnungszeilen bescherte David Bowie 1983 einen veritablen Super-Hit. Die Fans, die dazu tanzten, waren verblüfft und irritiert, dass ihr Idol gut vier Jahre zuvor im Revier der Klassik gewildert hatte. Prokofjews musikalisches Märchen "Peter und der Wolf" und Benjamin Brittens didaktischen Orchesterführer "The Young Person’s Guide to the Orchestra" hatte er erzählt, und zwar auf einer Tournee und im Schallplattenstudio mit Koryphäen der "hohen" Klassik - mit dem Dirigenten Eugene Ormandy, der zu den Ikonen der Pult-Stars seiner Zeit gehörte, und mit dem Philadelphia Orchestra, das zu den Big Five der damaligen US-Eliteorchester zählte.
Die Kritik rühmte Bowies "narration" als "fesselnd und wohltuend", allseits wurde ihm "Stil und Eloquenz" attestiert. Die LP platzierte sich 1978 in den US-Pop-Albums-Charts und brachte Prokofjew und Britten einem massenhaften jugendlichen Publikum nahe. Der Pop-Star als Popularisierer von Klassik. Wer hätte das gedacht! 1991 trat eine andere Pop-Legende in die Fußstapfen von David Bowie. Es war Sting, der mit dem Chamber Orchestra of Europe unter Claudio Abbado sich ebenfalls "Peter und der Wolf" annahm. Doch David Bowie war der erste. Der Grenzgänger zwischen Glam Rock und New Wave, zwischen Jazz und Drum’n’ Bass, zwischen Funk und Folk hat sich auch in der Klassik verewigt. Für seine Fans - gleich welcher Provenienz - wird er ewig leben.