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Kritik - "Die Gezeichneten" bei den Opernfestspielen Echte Boxer und Monsterfilme

Monsterfilme, Performancekunst, echte Boxer - Regisseur Krzysztof Warlikowski bietet einen Abend voller Assoziationen: Am Samstag hatte im Rahmen der Opernfestspiele der Bayerischen Staatsoper in München die Oper "Die Gezeichneten" von Franz Schreker Premiere. Unser Kritiker war in der Pause froh über sein Smartphone.

Bildquelle: © Wilfried Hösl

Die Kritik zum Anhören

Man braucht - das vorab - schon eine gewisse Grundlage für diesen Abend. Das beginnt damit, dass das Smartphone genug Akku hat. Sonst kann man in der Pause nichts googeln. Und es gibt viel zu googeln in der Pause. Außerdem sollten zur Vorbereitung die Kenntnisse in Filmgeschichte aufgefrischt werden, mit besonderem Fokus auf den Monsterfilm der Zwanzigerjahre. Sehr wünschenswert wäre auch eine gewisse Vertrautheit mit den Arbeiten der Aktionskünstlerin Marina Abramovic. Wer sich dann schnell noch die Graphic Novel "Maus" durchliest, in der Comic-Künstler Art Spiegelman den Holocaust schildert, dem dürfte Krzysztof Warlikowskis assoziationsreiche Inszenierung eigentlich keine unüberwindlichen Verständnishürden mehr bieten. Alle anderen Besucher müssen sich halt wundern, was ja auch sehr schön sein kann.

Die Gezeichneten: schwulstiges Libretto, schillernde Musik

Franz Schrekers Oper "Die Gezeichneten" ist keine leichte Kost. Es geht um einen sagenhaft hässlichen Renaissance-Edelmann, der für seine Freunde ein luxuriöses Sex-Paradies eingerichtet hat. In dekadent schönem Ambiente werden hier entführte Jungfrauen vergewaltigt. Es geht um Ausgestoßensein, Triebschicksale und jede Menge seelische Abgründe. Zu diesem schwulstigen, von ihm selbst geschriebenen Libretto hat Schreker eine in jedem Sinn fantastische, sinnverwirrende, gleitende und schillernde Musik komponiert.

Echte Boxer und marschierende Mäuse

Bühnenszene, Die Gezeichneten von Frank Schreker, Bayerische Staatsoper | Bildquelle: © Wilfried Hösl "Die Gezeichneten" - Szene aus der Inszenierung von Krzysztof Warlikowski | Bildquelle: © Wilfried Hösl Regisseur Krzysztof Warlikowski hat wenig Lust, in diese aparte Reizüberflutung irgendeine langweilige Ordnung zu bringen. Er zitiert und collagiert, was die Werkstätten hergeben, lässt klug montierte Sequenzen aus Stummfilmen der Zwanzigerjahre einblenden und stellt einen Boxring mit echten Sportlern des TSV 1860 auf die Bühne (Stichwort: Machismus). Ein Glitzerballett wird über die Bühne gescheucht, Kafka lässt grüßen, Mäuse marschieren ein und eine füllige Dame wackelt mit den Brüsten. Mal assoziiert Warlikowski Richtung Kindesmissbrauch, mal Richtung Tierversuch. Unermüdlich reiht die Regie Rätsel an Rätsel. Das entwickelt streckenweise surreale Kraft, führt aber eher früher als später zu ermüdendem Leerlauf.

Dirigent, Sänger und Orchester begeistern

Insgesamt großartig dagegen die musikalische Seite. Catherine Nagelstad als Carlotta verfügt über einen üppigen, farbigen und höhensicheren Sopran. Schauspielerisch brilliert Christopher Maltmann ebenso wie mit seinem warmen, kraftvollen Bariton. Eine herausragende Leistung. Stimmlich nahezu ebenbürtig ist ihm Tomasz Konieczny als Herzog Adorno. Das ist geballte Bariton-Power. Nicht ganz überzeugend ist John Daszak als Alviano, sein hörbar geforderter Tenor klingt wenig wandlungsfähig. Dirigent Ingo Metzmacher lotst das hochkonzentrierte, in Bestform spielende Staatsorchester mit bewundernswerter Sicherheit durch Schrekers Klangstrudel. Und was noch viel wichtiger ist: Er vermittelt in jedem Takt die emotionale Dringlichkeit dieser Musik. Die Energie, die diesen Abend letztlich trägt, kommt aus dem Orchestergraben. Dafür wird Metzmacher verdientermaßen gefeiert.

"Die Gezeichneten" bei den Münchner Opernfestspielen

Weitere Vorstellungen gibt es am 4., 7. und 11. Juli 2017.

Sendung: "Allegro" am 3. Juli 2017, 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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