Ganze 58 Minuten feiert das Opernpublikum im Münchner Nationaltheater eine Königin: Edita Gruberová. Erst seit drei Wochen ist bekannt, dass die slowakische Sopranistin an diesem Abend ihren Opernabschied in München gibt. Schon beim ersten Solovorhang steht das gesamte Parkett, von allen Rängen hängen bunte Banner mit "Edita - danke" in verschiedenen Sprachen.
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Bildquelle: Bayerische Staatsoper/W. Hösl
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Staatsopernintendant Nikolaus Bachler hat Mühe, sich Gehör zu verschaffen für seine Dankesrede: 308 Vorstellungen hat die Gruberova in diesem Haus gesungen, darunter 33 Mal Lucia di Lammermoor, 37 Mal Anna Bolena, je 28 Mal Lucrezia Borgia und Norma – und 54 Mal die Elisabetta in Donizettis "Roberto Devereux". Mit einer Königin, der Königin der Nacht in Mozarts "Zauberflöte", hat sie sich vor 45 Jahren hier vorgestellt; mit einer Königin, der Elisabetta, nimmt sie jetzt ihren Abschied. Auf Knien überreicht Bachler der Gruberova die Krone aus der aktuellen Inszenierung, dankt ihr für ihre Treue zur Bayerischen Staatsoper.
Vor der Vorstellung gespannte Vorfreude unter den glücklichen Kartenbesitzern. Vor dem Eingang ein paar glücklose Kartensuchende, aber keine Hektik, auch kein Schwarzmarkt. Ganz normale Ticketpreise. Als die festgesetzt wurden, ahnte noch niemand, dass dieser Abend Gruberovas Münchner Opernfinale sein würde …
Ihren ersten Auftritt hat Edita Gruberova im zweiten Bild. Sie bahnt sich von hinten links ihren Weg durch die Damen und Herren des Hofstaats. Exakt vor ihrem ersten Ton (sie steht inzwischen vorne an der Rampe) kommt plötzlich von rechts oben (Galerie oder dritter Rang) der Einsatz: Applaus brandet auf, verbreitet sich in Sekundenschnelle über das ganze Haus, steigert sich zum lang anhaltenden Jubelorkan. Die Gruberova scheint gerührt, die ersten Töne wollen nicht so recht raus, klingen belegt. Dann legt sie los – auch schauspielerisch. Und wieder einmal erlebt man: diese Elisabetta ist ihre beste Rolle. Christof Loy hat sie ihr auf den Leib geschrieben – auch wenn sie das nicht zugeben würde. Der Regie hat Edita Gruberova nie übermäßiges Interesse beigemessen. Aber von Christof Loy hat sie sich führen lassen – ein Glücksfall. Diese Königin im Business-Kostüm ist amtsmüde und herrschsüchtig, angewidert von ihren Hofschranzen und maßlos verliebt in ihren Roberto, der von ihr nichts mehr wissen will. Erst wahrt sie noch Haltung, sucht in ihrer Tasche hektisch nach Spiegel und Lippenstift, macht sich schön. Später lässt sie alle Contenance fahren, schleppt sich über die Bühne, sinkt erschöpft im Sessel zusammen. Dann rast sie, robbt über den Boden, verflucht ihre Untertanen, von denen sie Entscheidungen verlangt, zu denen sie selbst nicht mehr fähig ist – und zieht sich in der plötzlichen Erkenntnis, ihrem Hof nur noch im Weg zu stehen, die Perücke vom Kopf. Und aus der Königin wird eine alte Frau mit weißem Struppelhaar. Immer noch und immer wieder ein schier überwältigender, atemberaubender Moment dieser Inszenierung.
Und die Stimme? Ein Wunder. Natürlich kippt ihr die Mittellage weg, reißt Löcher in den melodischen Strom. An den tiefen Stellen rettet sich die Gruberova in Sprechgesang, knurrt, heult, bellt ihre Untertanen an – aber selbst das fasziniert. Viele rezitativische Passagen serviert sie im Pianissimo – wohl wissend, dass sie bis in den letzten Winkel der Partiturplätze in der Galerie zu hören ist. Die Spitzentöne kommen ansatzlos, aus dem Nichts, wie eh und je. Zwar ist die eine oder andere Sirene dabei – aber sonst kaum Intonationstrübungen. Ihre Markenzeichen, die stupenden Crescendi und Decrescendi, funktionieren einwandfrei. Nur mal zur Erinnerung: Edita Gruberova ist 72 Jahre alt.
Am Schluss bedankt sie sich bei uns, ihrem Publikum – und bei ihrem großartigen Ensemble, das ihr "der Herr Operndirektor" zur Seite gegeben hat. An der Spitze Charles Castronovo als viril-ungestümer junger Roberto. Ovationen auch für Silvia Tro Santafé als Sara und Vito Priante in der Rolle des Herzogs von Nottingham. Und für Chor und Orchester der Staatsoper unter Friedrich Haider. Ein "historischer Opernabend", wie Nikolaus Bachler konstatiert. Tumult und Ekstase - und die hinreißende Abdankung einer Königin.
Sendung: "Allegro" am 28. März 2019 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK