100 junge Pianistinnen und Pianisten aus aller Welt sollten heuer eigentlich zur Vorrunde des Busoni-Klavierwettbewerbs nach Bozen kommen, doch das fiel aus verständlichen Gründen flach. Komplett abblasen — wie so viele andere Wettbewerbe dieses Jahr — wollte man den traditionsreichen Concorso Ferruccio Busoni aber nicht. Und so hat der künstlerische Leiter Peter Paul Kainrath ein Konzept entwickelt, um das Unmöglich scheinende doch noch irgendwie möglich zu machen.
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Anstatt die junge Musiker nach Bozen einzuladen, hat der Busoni-Wettbewerb zusammen mit seinem Exklusivpartner Steinway & Sons in einer spontanen Aktion ein weltweites Netzwerk aufgebaut. Von Sydney über Seoul, Moskau und München bis Los Angeles werden die Vorspiele der jungen Pianistinnen und Pianisten in den Ladengeschäften und Showrooms der Klavierfirma für die Jury auf Video aufgezeichnet. Wenn es die Situation zulässt, auch im Rahmen eines Art Minifestivals vor Publikum. Das, was aus dieser Idee entstanden ist, nennt Peter Paul Kainrath "Glocalität": An 22 Orten weltweit wird das Ganze von Bozen aus wie von einer Kommandobrücke dirigiert und man ermöglicht es so den Teilnehmern, ihr Vorspiel für den Wettbewerb zu absolvieren, ohne ihr Staatsgebiet verlassen zu müssen.
Für Kainrath geht der Gedanke dieses "glocalen" Denkens fast noch nicht weit genug: "Glocal, das setzt sich zusammen aus global und local – und dabei ist global fast noch zu wenig, wir müssen planetarisch denken, mit allen Mitteln, die wir zur Verfügung haben." Und an dieser Glocalität wolle man auch nach der Pandemie festhalten.
An dieser 'Glocalität' wollen wir auch nach der Pandemie festhalten.
Sie können es der siebenköpfigen internationalen Jury des Busoni-Klavierwettbewerbs im Home-Office gleichtun: Hören und sehen Sie sich die Vorspiele der Kandidaten auf der Website des Wettbewerbs an und küren Sie Ihre Favoriten. Bis zu acht von ihnen mit den höchsten Publikumswertungen ziehen ebenfalls ins Finale des Busoni-Wettbewerbs ein, der dann hoffentlich im Spätsommer 2021 wieder vor Ort in Bozen stattfinden kann.
In Deutschland finden die Vorspiele in München und Hamburg statt. Aber wie fühlt sich das an, unter strengsten Hygienevorschriften im verglasten Schaufenster eines Münchner Ladengeschäfts einen Klavierwettbewerb zu bestreiten? Einer der Kandidaten ist der 23-jährige Robert Bily: "Die Situation ist natürlich schon sehr speziell, und wir spielen hier quasi im Schaufenster, man sieht die Autos vorbeifahren, manche Fußgänger halten an und machen Fotos. Aber sowas muss man als Profi einfach ausblenden und sich auf die Stücke konzentrieren, dann geht das schon."
Doch ganz ohne Publikum und nur für die Kamera zu spielen? Für den gebürtigen Tschechen, der derzeit am Mozarteum Salzburg studiert, ist das vielleicht eine mögliche Alternative, aber nichts auf Dauer: "Das Publikum fehlt auf jeden Fall, denn zu einem Auftritt gehören einfach die Nähe und auch die wechselseitige Beziehung, die man mit den Zuhörern vor Ort entwickelt."
Das ist eine Alternative für diese besonderen Zeiten, aber langfristig – und da spreche ich wohl für alle Pianisten – ist es nicht ideal.
Milana Chernyavska, Mitglied der Internationalen Jury beim Busoni-Klavierwettbewerb | Bildquelle: Julia Wesely Milana Chernyavska, eine der sieben Juroren des Busoni-Wettbewerbs, sieht in dieser Art der Durchführung der Veranstaltung gerade in Pandemiezeiten einen ganz wichtigen Aspekt. Die jungen Pianistinnen und Pianisten bekommen somit eine große internationale Plattform, um sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. "Klar, es gibt viele Online-Konzerte derzeit, die auch sehr gut angenommen werden, aber dabei sind es doch eher die großen Orchester und Häuser, die es sich leisten können, sowas in hoher Qualität und mit großer Reichweite anzubieten.“
Chernyavska und ihre Jury-Kollegen beurteilen dann im Home-Office die knapp 100 Pianistinnen und Pianisten anhand der Videoaufzeichnungen auf der Website des Busoni-Wettbewerbs. Mehrmals pro Woche findet dann eine virtuelle Sitzung per Videokonferenz statt, in der sich die sieben Juroren unter dem Vorsitz von Elmar Weingarten austauschen.
Verstärkt denkt man in dieser Pandemie über die Nachhaltigkeit auch im Musikbetrieb nach. Und da entstehen für Peter Paul Kainrath und seinen Wettbewerb durchaus auch interessante Ansätze: So könne man für die Vorrunde alle zur Verfügung stehenden audiovisuellen Mittel ausschöpfen und die qualifizierten Teilnehmer erst zum Finale vor Ort nach Bozen einladen: "Das ist dann auch von der ökologischen Seite nachhaltiger als das, was wir bis heute gemacht haben, wo wir 100 Pianisten für 20 Minuten nach Bozen beordern, um dann zu entscheiden, wer die Finalrunde bestreitet."
Den Busoni-Wettbewerb zukünftig als reinen Online-Veranstaltung komplett virtuell abzuhalten, das ist für Kainrath allerdings keine Alternative. Denn um einen würdigen Busoni-Preisträger zu küren, brauche man die Bühne, das Publikum und die Jury vor Ort, denn nur da könne auch die so wichtige Dimension der Aura ihre Wirkung entfalten.
Die so wichtige Dimension der Aura kann sich nur auf der Bühne und mit Publikum entfalten.
Sendung: "Allegro" am 12. November 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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