An der Opéra de Lyon findet derzeit ein Opernfest statt, bei dem legendäre Inszenierungen wiederbelebt werden. Dem Intendanten Serge Dorny ist dieses ungewöhnliche "Festival Mémoires" eine Herzensangelegenheit. Robert Jungwirth hat sich drei Retro-Opern angesehen.
Bildquelle: © Stofleth
Die magischen Lichträume von Heiner Müllers und Erich Wonders legendärer Bayreuther Inszenierung von "Tristan und Isolde" (1993) haben auch in der reaktivierten Inszenierung in Lyon nichts von ihrer Suggestionskraft verloren. Im Gegenteil: Auf der etwas kleineren Bühne wird man sogar noch mehr in den Farbensog hineingezogen, der wie überdimensionierte, begehbare Bilder eines Mark Rothko wirkt.
Ernüchternd kühl ist das Blau des zweiten Aufzugs mit der Liebesnacht der Titelfiguren in der Waffenkammer König Markes. Glutvolles kommt hier zwischen Tristan und Isolde selbstverständlich nicht zustande. Händchenhalten ist der Gipfelpunkt der Ekstase. Im trostlosen dritten Akt dämmert Tristan verwundet seinem Ende entgegen - mit einem eindringlichen und bis zum Schluss klug mit seinen stimmlichen Kräften haushaltenden Daniel Kirch, der mit dieser Partie debütierte. Ann Petersen als Isolde hatte sich zwar als erkältet ankündigen lassen, aber doch gesungen - und zwar vor allem laut, das Timbre etwas scharf und wenig geschmeidig. Hartmut Haenchen am Pult hatte am Vortag bereits die "Elektra" dirigiert. Er überzeugte auch beim "Tristan" mit einer klugen Disposition der musikalischen Exaltiertheiten.
Szenenbild aus "Krönung der Poppea" | Bildquelle: © Jean-Louis Fernandez Weniger gelungen war die Wiederbelebung von Klaus-Michael Grübers Inszenierung von Claudio Monteverdis "Krönung der Poppea" aus dem Jahr 1999. Die einstmals starke atmosphärische Wirkung der Freiluftaufführung im Sommer in Aix en Provence blieb in diesem Remake außen vor. Die antikisierende Szenerie und die körperengen Kostüme wirkten einfach nur altmodisch, ja verstaubt, die stilisierten Bewegungen wenig inspiriert. Die Sängerinnen und Sänger des Opernstudios unter der kompetenen Leitung von Sebastien d'Herin mühten sich zwar redlich, allen voran Josefine Göhmann und Laura Zigmantaite, schienen aber auch ein wenig überfordert von dieser Regie aus zweiter Hand.
Es sind zeitlose Produktionen. ... Theatermachen ist auf Ökonomie aufgebaut: Jede Geste, jede Bewegung, jeder Blick haben eine Notwendigkeit.
Ganz anders der Eindruck der "Elektra" in der rekonstruierten Dresdner Inszenierung von Ruth Berghaus aus den 1980er-Jahren. Die Handlung spielt auf einem Sprungturm, wie man ihn aus Schwimmbädern kennt, der auch als Aussichtsplattform dient. Elektra - phänomenal gesungen von Elena Pankratova - blickt in die Ferne, in die Zukunft. Berghaus lieferte in dieser eigentümlichen Szenerie durch die Personenregie pointierte Chiffren für eine überkommene Herrscherkaste, deren Ende nah ist. Die politische Deutung war seinerzeit natürlich für jedermann evident.
Erstaunlich, wie prägnant und wirkungsvoll der Bühnenbildner von damals, Hans Dieter Schaal, und die Kostümbildnerin Marie-Luise Strandt Ruth Berghaus' Regie zu neuem Leben erweckten - vom damaligen Dirigenten Hartmut Haenchen nun wiederum auch musikalisch mit enormen Spannungshöhepunkten aufgeladen. Zweifellos das Highlight der drei Retro-Opern dieses Festivalwochenendes in Lyon.
Weitere Informationen finden Sie unter opera-lyon.com.
Das Festival läuft bis 5. April.