Nur noch ein Konzert, nur noch heute Abend, dann heißt es Lebewohl. Der Erste Konzertmeister Florian Sonnleitner verabschiedet sich mit Werken von Schumann und Mahler in den wohlverdienten Ruhestand. Sir Simon Rattle dirigiert, wenn Sonnleitner zum letzten Mal zusammen mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks spielt. Im Interview mit BR-KLASSIK spricht er über seine Rolle als Vermittler zwischen dem Orchester, dem Dirigenten und dem Publikum - und verrät, wann man in der Probe besser die Klappe hält.
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BR-KLASSIK: Wenn man sich in Erinnerung ruft, dass Ihr Vater auch schon Konzertmeister bei den Münchner Philharmonikern war, dann gehen jetzt insgesamt 67 Jahre zu Ende, in denen ein Herr Sonnleitner in München Konzertmeister war. Wurde Ihnen dieser Weg schon in die Wiege gelegt?
Florian Sonnleitner: Ich habe bei meinem Vater den ersten Violinunterricht bekommen und mein Talent hat sich sehr früh gezeigt. Es kursiert die Geschichte, dass ich schon als Baby protestiert habe, wenn meine Mutter die Kinderlieder abends in einer anderen Tonart als am Abend zuvor gesungen hatte. Da zeigte sich offenbar doch schon ein genaues Gehör und der Weg zur Geige war sehr früh vorgezeichnet.
Man muss auch psychologisches Gespür entwickeln.
BR-KLASSIK: Sie sind Erster koordinierter Konzertmeister beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks - das heißt, Sie sitzen selten ganz vorn außen. Zwar am ersten Pult, aber meistens neben dem Ersten Konzertmeister. Eine Rolle, die ich mir als eine Art Vermittler oder Dolmetscher zwischen dem Dirigenten und dem Ensemble vorstelle.
Florian Sonnleitner: Wir haben zwei alternierende Kollegen - Radoslaw Szulc und Anton Barakhovsky - sie sitzen immer am ersten Pult außen, und nur dort. Und ich habe eigentlich drei Stühle, auf denen ich sitze. Das beinhaltet der Begriff "koordiniert". Mein Kollege Tobias Steymans und ich fühlen uns gleichermaßen zuständig für die typischen Aufgaben des Konzertmeisters: Auch für uns kommt immer wieder eine schöne solistische Aufgabe, die uns fordert. Aber wir haben auch die Funktion, dem Dirigenten zuzuarbeiten, in den Proben das Notwendige zu fragen. Wobei man auch psychologisches Gespür dafür entwickeln muss, wann man mit dem Fragen aufhört.
BR-KLASSIK: Wann hält man sich besser zurück?
Florian Sonnleitner: Wenn man merkt, dass der Dirigent ein bisschen angespannt ist. Oder wenn gerade eine besondere Stimmung beim Proben entsteht, die man nicht mit einer banalen Bemerkung oder überhaupt durch Reden stören darf. Viele Dirigenten sind da sehr sensibel.
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Videoporträt
Florian Sonnleitner im Gespräch
Man soll spüren, dass der Dirigent und die Musiker emotional, energetisch und psychisch am selben Strang ziehen.
BR-KLASSIK: Welche Aufgaben haben Sie sonst noch als Erster koordinierter Konzertmeister im Orchester?
Florian Sonnleitner: Ich habe mich mit meinem absoluten Gehör immer für Druckfehler oder auch für Fragen der Partitur zuständig gefühlt. Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt, den ich über die Jahre immer wichtiger gefunden habe: Wir transportieren die Bewegungen und damit natürlich auch die psychische Energie des Dirigenten in das Orchester hinein. Und auch zum Publikum. Und das erfordert von uns viel körpersprachliches Engagement. Man soll in 60 Meter Entfernung spüren, dass der Dirigent und 80 bis 100 Musiker emotional, energetisch und psychisch am selben Strang ziehen.
BR-KLASSIK: Ich habe den Eindruck, dass bei Ihnen Musikalität und eine Art allgemeines Bildungsinteresse Hand in Hand gehen und sich gegenseitig inspirieren.
Florian Sonnleitner: Ich war immer darauf aus, dass es nicht nur die Töne sind, die mein Leben prägen. Obwohl ich eigentlich ein ausgeprägt akustischer Typ bin. Aber gerade deswegen war mir der optische Ausgleich im Alltag immer sehr wichtig. Ich besuche in jeder Stadt die großen Museen. Unser Beruf führt uns ja auch in viele Metropolen. Und ich lese auch sehr viel, habe mich immer für die geistigen Hintergründe von Kompositionen, für die Vita der Komponisten interessiert, vor allem von musikalischen Grenzgängern. Jedes Buch, das ich gelesen habe, hat die Neugier auf fünf weitere Bücher geweckt. Es ist ein Prozess ohne Ende und man kann natürlich nicht alle Bücher lesen, die es auf der Welt gibt. Aber man kann es versuchen.
Sendung: "Meine Musik" am 13. Januar ab 11.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Freitag, 26. Januar 2018, 20:00 Uhr - Liveübertragung im Videostream
Robert Schumann: Symphonie Nr. 3 Es-Dur, op. 97 "Rheinische"
Gustav Mahler: "Das Lied von der Erde"
Magdalena Kožená - Mezzosopran
Stuart Skelton - Tenor
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Dirigent: Sir Simon Rattle